Zuflucht im Teehaus
erzählen konnte. Mein Freund hatte mich geschlagen. Wir hatten eine schreckliche Grenze überschritten.
»Ich hole dir einen Eisbeutel.« Hugh stand auf und zog seinen Morgenmantel an, bevor er sich auf den Weg zur Tür machte. Ich hörte Angus draußen im Flur; Hugh sagte ihm, er solle wieder in sein Zimmer gehen. Gut – ich wollte nicht, daß er mich frisch verprügelt sah.
Ich lag bereits im Bett, als Hugh mit dem in eins seiner Taschentücher gewickelten Eisbeutel zurückkam. Er war der einzige Nicht-Japaner in meinem Bekanntenkreis, der eine ganze Schublade voll mit gebügelten Taschentüchern sein eigen nannte. Ich schniefte in den weichen Baumwollstoff.
»Möchtest du, daß ich heute nacht bei dir bleibe?« fragte er mich vom Fußende des Bettes aus. Ich nickte. Er legte sich zu mir, blieb aber so weit von mir weg, daß ich genausogut hätte allein sein können.
14
Mein Shiseido-Stift reichte, um den Streßpickel zu verdecken, der auf meinem Kinn sprießte, aber nicht, um mein blaues Auge zu kaschieren. Trotzdem probierte ich es. Ich hatte Schmerzen; beim Frühstück mußte ich ganz langsam kauen. Hugh saß mir gegenüber, ohne ein Wort zu sagen.
Als Angus nur mit alten Boxershorts bekleidet hereinkam, fuhr ich ihn an: »Hast du denn nichts Ordentliches zum Anziehen? Es liegen doch genügend Klamotten in deinem Zimmer rum.«
»Nun krieg dich mal wieder ein.« Angus sah zuerst mein Gesicht an, dann Hugh. »Habt wohl ein bißchen Sado-Maso probiert, was?«
»Ich bin auf die Rudermaschine gefallen«, sagte ich hastig. Nun, zum Teil stimmte das ja sogar.
Angus trat näher an mich heran, um sich mein Auge genauer anzusehen.
»Zieh dir ’ne Hose an, und zwar sofort!« brüllte Hugh seinen Bruder an, der wider Erwarten gehorchte. Als wir allein waren, sagte Hugh: »Ich fahre jetzt in die Arbeit, aber ich höre früher auf, um am Nachmittag mit Angus nach Okinawa zu fliegen. Er sagt schon die ganze Zeit, daß er mal ’nen Strand mit weißem Sand sehen möchte.«
Ich starrte den halben Toast auf meinem Teller an.
»Hast du was dagegen?« fragte er mich.
Wir hatten nie gemeinsam Urlaub gemacht. Aber vermutlich war das mein Fehler gewesen. Schließlich hatte ich die Reise nach Thailand abgesagt, um nach einer tansu zu suchen, die mir letztlich nur Unglück gebracht hatte.
»Ich dachte, du willst sowieso nicht mit, weil du bis jetzt auch nichts zusammen mit meinem Bruder und mir unternommen hast.«
»Tut mir leid, daß du das so siehst«, sagte ich. Offenbar wollte er aus seiner teuren, klimatisierten Wohnung fliehen, weil er es nicht mehr mit mir aushielt.
»Es ist das beste für uns alle, findest du nicht auch?« meinte Hugh. »Ach ja, übrigens wollte ich dir noch sagen, daß Lieutenant Hata angerufen hat, während du gerade im Bad warst.«
»Ich wußte gar nicht, daß das Telefon schon wieder funktioniert.«
»Die Polizei hat dafür gesorgt, daß NTT es gleich gestern abend repariert hat. Außerdem habe ich auch ein neues Handy.«
»Und was ist mit den Einbrechern? Haben die Leute von der Polizei schon irgendwas rausgefunden?«
»Leider nicht. Lieutenant Hata möchte, daß du heute vormittag im Polizeirevier von Roppongi vorbeischaust. Ich habe vorgeschlagen, daß wir zusammen hingehen, wenn ich wieder da bin, aber davon wollte er nichts hören.« Ein Muskel in seinem Gesicht zuckte; ich wußte, das war ein Signal dafür, wie verärgert er war.
»Ich kann mir nicht vorstellen, warum er mich sehen möchte. Schließlich ist es nicht mal meine Wohnung«, sagte ich.
»Wahrscheinlich gefällst du ihm einfach. Und er weiß, daß wir nicht verheiratet sind.«
»Du klingst ganz schön besitzergreifend. Ich finde das angesichts der Umstände ziemlich unangemessen …«
»Um Macht geht’s doch bei Sado-Maso, Leute! Hat’s Spaß gemacht? Zeig mal deine blauen Flecken, Shug.« Angus betrat den Raum mit meiner Baumwoll -yukata ,die ihm kaum bis zu den Knien reichte.
»Meine Verletzungen sind nicht auf den ersten Blick zu sehen«, murmelte Hugh und stellte die Tasse ab. »Ich komme zu spät, wenn ich mich jetzt nicht auf den Weg mache. Ich rufe an, wenn ich die Sache mit den Flügen geregelt habe.«
Auch im Polizeirevier von Roppongi gab es Kanarienvögel im Käfig. Nachdem ich ihnen eine Weile zugesehen hatte, wandte ich meine Aufmerksamkeit den Wänden zu, an denen die unterschiedlichsten Mitteilungen hingen. Ich arbeitete mich gerade durch ein Polizei-Bulletin mit dem Foto eines gesuchten
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