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Zuflucht im Teehaus

Zuflucht im Teehaus

Titel: Zuflucht im Teehaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sujata Massey
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nicht von der Seite gewichen war. Er war in seinem Element gewesen, als er eine Rede vor den versammelten Menschen halten konnte. Jetzt erscholl nach seinen letzten Worten donnernder Applaus, und die Leute machten sich auf den Weg zum Bogenschießplatz. Es blieb mir nur noch wenig Zeit, mich unter vier Augen mit Akemi zu unterhalten. »Ist Kazuhito wirklich so falsch, wie Sie sagen, oder hat er nur einfach großes Geschick im Umgang mit Menschen? Mir tut es leid, daß er am Ende den Tempel und alles erben wird, aber vielleicht ist er gar nicht so schlecht.«
    »Sie halten mich also für neidisch! Und ich dachte, Sie verstehen mich. Dabei habe ich so viel für Sie getan!« Akemi sprang auf und starrte mich entsetzt an.
    »Sch, lassen Sie uns später darüber sprechen«, sagte ich. Die Stuhlreihen hatten sich so schnell gefüllt, daß es jetzt nur noch Stehplätze gab. Ich fürchtete, daß die Leute den Streit von Miss Fuchs und Miss Bär belauschen würden.
    »Vergessen Sie’s. Wenn Sie nicht erkennen, wie gefährlich dieses Schwein ist, sind Sie verloren«, sagte Akemi, sah mich ein letztes Mal an und stürmte davon.
    Sofort setzte sich ein Junge, der schon ungeduldig auf den Beginn der Sportveranstaltung wartete, auf den frei gewordenen Stuhl neben mich. Er rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her und spielte dabei die ganze Zeit mit einem Tamagotchi, das ähnlich aussah wie das von Yoko Maedas Enkelin.
    »Sind die Pfeile wirklich spitz? Werden sie uns damit treffen?« fragte der Junge seinen Vater, der hinter mir stand, vielleicht in der Hoffnung, daß ich ihm meinen Platz überlassen würde.
    »Warum trägst du eine Fuchsmaske?« fragte der Junge und begann mir mit seinem Tamagotchi auf den Oberschenkel zu schlagen.
    »Es ist eine alte Sitte, zum Tanabata-Fest eine Maske zu tragen«, begann ich geduldig.
    »Bist du ein Fuchs-Junge oder ein Fuchs-Mädchen?«
    »Ein Fuchs-Mädchen.«
    »Aber du hast Haare wie ein Junge! Und deine Stimme ist auch komisch!«
    »Ich komme aus einem anderen Land.« Ich flehte den Vater des Jungen mit einem Blick um Hilfe an.
    »Mein Sohn ist sehr unhöflich. Ich muß mich entschuldigen …«
    Die Sache begann mir auf die Nerven zu gehen. Schließlich haßte auch ich die Maske. Ich nahm sie ab, froh darüber, daß der Wind nun über mein schweißnasses Gesicht streichen konnte, und froh auch darüber, daß Akemi mich nicht daran hindern konnte, sie abzunehmen. Ich sagte zu dem Jungen: »Siehst du, ich bin eine Frau.«
    »Du schwitzt wie ein Bauarbeiter. Und Bauarbeiter sind immer Männer!«
    Ich seufzte, erleichtert darüber, daß der Wettbewerb nun begann und der Junge sich auf ein paar echte Männer konzentrieren konnte.
    »Mein Tamagotchi! Du hast es runtergestoßen!« Der Junge trommelte mit den Fäusten auf mich ein.
    »Sch, schau dir lieber die Ritter auf den Pferden an«, versuchte ich ihn zu beruhigen und wünschte mir dabei, daß sein Vater einschreiten würde. »Schau nur, die ganzen schönen Pferde!«
    Auf einen scharfen Befehl lenkten die kostümierten Reiter ihre Pferde ganz langsam aufeinander zu.
    » Otosan ,sag ihr, daß sie mir’s wiedergeben soll!«
    Der Vater murmelte eine Entschuldigung, doch ich gab mich geschlagen und bückte mich. Das Plastikding war von meinem Oberschenkel heruntergerutscht und irgendwo unter den Stuhl gerollt. Meine lange yukata machte die Suche nicht leichter. Als ich zwischen meinen Knöcheln herumtastete, spürte ich über mir einen Luftzug und hörte dann das Geräusch eines Aufpralls.
    »Ein Pfeil, Otosan ,ein richtiger Pfeil!«
    Als ich den Blick hob, sah ich, was der Junge gemeint hatte – in der Rückenlehne meines Stuhls steckte ein etwa dreißig Zentimeter langer Metallpfeil.

21
    Wenn ich aufrecht auf dem Stuhl gesessen hätte, hätte mich der Pfeil in die Brust getroffen. Als mir das bewußt wurde, nahm ich schon wieder ein Zischen wahr. Ich ließ mich nach vorn fallen und riß den frechen Jungen mit, um ihn vor dem zweiten Pfeil zu schützen, der sich in meinen Stuhl bohrte.
    Das schreckliche, vibrierende Geräusch wurde fast vom Trampeln der Hufe übertönt. Endlich war der Vater des Jungen aus seiner Lethargie erwacht und entwand mir den Jungen. Die Leute um mich herum begannen zu schreien und Stühle umzustoßen, um so schnell wie möglich aus dem Zielbereich zu kommen. Sie rannten geradewegs auf das Feld, wo die Bogenschützen ihre Pferde mittlerweile zum Stehen gebracht hatten.
    »Bewahren Sie Ruhe!« brüllte der Ansager

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