Zuflucht im Teehaus
noch nicht gespürt hatte. Außerdem war ich außer mir vor Freude. Ich hatte in meiner Laufbahn als Antiquitätenhändlerin schon ein paarmal einen guten Fang gemacht, aber daß ich einmal eine Schriftrolle von Mitsuhiro mein eigen nennen würde, hätte ich nie gedacht. Nachdem Mr. Ishida sich die Fotos angesehen hatte, hatte er bestätigt, daß der beste Ort für eine solche Schriftrolle wohl der Safe einer Bank sei. Als Mr. Ishida seinen Teller leer gegessen und noch einmal grünen Tee bestellt hatte, erklärte er mir, daß die Schriftrolle mehr als dreihunderttausend Dollar wert wäre, wenn sich ihre Echtheit bestätigte. Wenn Angus nicht das Namenssiegel weggeschnitten hätte, wäre sie unbezahlbar gewesen.
»Dann werden Sie in der Lage sein, meinen Laden zu kaufen, Shimura-san«, sagte Mr. Ishida. »Noch nicht sofort, aber in ein paar Jahren, wenn ich in den Ruhestand gehe. Vorausgesetzt, die Regierung erlaubt Ihnen, die Schriftrolle zu behalten.«
»Was meinen Sie damit? Die Schriftrolle war in der tansu ,die ich rechtmäßig erworben habe. Die Quittung lautet auf meinen Namen. Das sollte doch eigentlich reichen!«
»Wie Sie wissen, dürfen Dinge, die dem Kulturerbe des Landes zugerechnet werden, nicht ins Ausland verkauft werden, und Sie sind Ausländerin. Wenn die Schriftrolle Ihnen gehört, dürfen Sie sie möglicherweise nie außer Landes bringen.«
»Ich habe nicht vor, Japan zu verlassen.«
Mr. Ishida hob abwehrend die Hand. »Wenn Sie ein offizielles Gutachten für die Schriftrolle haben und der Kulturminister davon erfährt, wird die Regierung darauf bestehen, sich mit dem früheren Eigentümer der Rolle in Verbindung zu setzen, um sicherzustellen, daß sie tatsächlich zum Verkauf angeboten wurde. Wenn Miss Haru Ideta behauptet, sie habe nicht gewußt, daß die Rolle in der tansu versteckt war, wird man Sie vielleicht zwingen, sie zurückzugeben.«
Wenn die Schriftrolle tatsächlich Teil des japanischen Kulturerbes war, hatte ich endlich ein Motiv für den Einbruch und die beiden Morde, von dem ich Lieutenant Hata erzählen konnte. Aber zuerst mußte ich sicher sein, daß die Schriftrolle wirklich so wertvoll war.
»Wenn wir meine Fotos mit einem Original von Mitsuhiro vergleichen könnten, würden Sie mir dann ein Gutachten schreiben?«
»Natürlich. Aber soweit ich weiß, ist die Sammlung des Tokyo National Museum gegenwärtig in Frankreich.«
»Die Bibliothekarin im Forschungszentrum hat mir gesagt, daß es eine Schriftrolle von Mitsuhiro in Horin-ji gibt. Es könnte schwierig werden, an sie ranzukommen, aber ich glaube, es würde sich lohnen.«
»Ja? Ich wußte gar nicht, daß sie auch nicht-religiöse Werke in ihrer Sammlung haben. Das ist ja interessant.«
»Allerdings! Das Problem ist nur, daß die Mönche uns den Zutritt zu den Schriftrollen verweigern könnten. Solche Schätze sind wahrscheinlich nur bei bestimmten Anlässen der Öffentlichkeit zugänglich. Ich habe keine Ahnung, wie wir die Mönche davon überzeugen könnten, sie uns zu zeigen. Und ich habe Angst, mich einfach in die Räume zu schleichen.«
»Wir könnten uns als Pilger ausgeben«, sagte Mr. Ishida. »Wir würden zuerst beten und danach den bescheidenen Wunsch aussprechen, die Schriftrolle zu sehen. Ich übernehme das Reden, und wenn mich jemand nach Ihnen fragt, sage ich, Sie sind meine Enkelin.«
»Glauben Sie, das könnte funktionieren? Schließlich kennen zwei Leute im Tempel mich: Mr. Mihori, der Klostervorsteher, und Akemis Cousin, der irgendwann sein Nachfolger wird.«
Mr. Ishida bekam glänzende Augen. »Wir könnten uns mit Zen-Roben aus meinem umfangreichen Fundus verkleiden. Die Kutten sind alt, das heißt, wir würden wie arme, aber sehr gläubige Menschen wirken. Das wäre genau das richtige.«
Perfekt – wenn den Mönchen nur nicht auffiel, wie wenig Ausdauer ich im halben Lotussitz hatte. Wenigstens hatte ich mir inzwischen schon Zen-Tischmanieren zugelegt.
»Shimura-san, sind wir einer Meinung? Erklären Sie sich bereit, meinen Befehlen zu gehorchen?«
»Ja«, sagte ich und dachte, wenn Hugh jemals herausfand, daß ich einem Mann bedingungslosen Gehorsam versprochen hatte, würde er vermutlich aus der Haut fahren. Ich konnte es ja selbst kaum glauben.
Mr. Ishida bestand darauf, daß ich auf seinem Gästefuton übernachtete, den wir zwischen die alten Kimonos und einer Sammlung alter Samurai-Schwerter auf den Boden legten. In jener Nacht hatte ich den verstörenden Traum, daß
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