Zuflucht im Teehaus
der Künstler Mitsuhiro mich geschwängert hatte, daß ich aber kein Baby zur Welt brachte, sondern ein Tamagotchi, aus dem eine winzige Schlange kroch. Ich wälzte mich stöhnend herum, als Mr. Ishida mich aufweckte.
Es war halb drei Uhr morgens, Zeit loszufahren. Mr. Ishida stand immer um diese Zeit auf, wenn er zu Auktionen auf dem Land wollte. Mir fiel das deutlich schwerer. Ich hatte kaum Zeit, mir das Gesicht zu waschen und die Zen-Robe über das verknitterte Kleid zu ziehen, in dem ich geschlafen hatte und das ich nachmittags in Mrs. Maedas Laden tragen müßte. Mr. Ishida hatte sich schon Gedanken über unsere Verkleidung gemacht und bereits eine schwarze Priesterrobe angezogen; mit seinen Bastsandalen und einem Gehstock aus Holz sah er aus wie ein Priester auf einem alten Holzschnitt. Für meinen Geschmack war dieser Aufzug ein bißchen zu dramatisch, aber er versicherte mir, daß derjenige, der für die Bibliothek in Horin-ji verantwortlich war, ihm bei seinem Anblick keinen Wunsch würde abschlagen können.
»Natürlich rasieren sich Priester den Schädel kahl, und ich habe noch ein paar Haare auf dem Kopf«, sagte Mr. Ishida und fuhr sich mit der Hand durch die paar Strähnen, die er noch hatte.
»Ach, das fällt wahrscheinlich niemandem auf«, sagte ich, doch als ich sein Gesicht sah, hätte ich mir am liebsten auf die Zunge gebissen. Er war schon über siebzig, aber seinen Stolz hatte er noch.
Auch ohne großen Verkehr konnten wir uns glücklich schätzen, in eineinviertel Stunden nach Kamakura zu kommen. Doch Mr. Ishida überraschte mich mit seinen Rennfahrerqualitäten. Wir gelangten schneller vom Shuto Expressway zur Yokohama-Yokosuka-Mautstraße, als ich das jemals geschafft hatte. Erst als wir in Kamakura ankamen, sahen wir uns dem ersten Problem gegenüber: Wir fanden keinen Parkplatz. Die verdammte Nana Mihori mit ihren Parkverboten ,dachte ich, als wir auf der Straße nach Horin-ji an einem Verbotsschild nach dem anderen vorbeikamen.
»Dann stellen wir den Wagen eben auf dem Tempelgelände ab. Dort ist sicher Platz für meinen kleinen Transporter.« Mr. Ishida lenkte den Wagen auf einem schmalen Pfad zwischen den düster dreinblickenden Steinstatuen hindurch und erreichte schließlich, nachdem er ein paar Fußgängerwege überquert hatte, einen winzigen Parkplatz. Da die beiden Besucherparkplätze besetzt waren, stellte Mr. Ishida den Transporter auf einer Stelle ab, über der NUR FÜR PRIESTER stand.
»Ich werde ein Gebet sprechen, daß der Wagen nicht abgeschleppt wird«, sagte Mr. Ishida, schaltete den Motor aus und öffnete seine Tür. Es war fünf vor vier, wir kamen also gerade richtig zur Morgenmeditation.
Ich war froh, daß ich den Ablauf schon kannte. Wie erwartet, fiel Mr. Ishida unter den älteren Gläubigen nicht auf. Wir mischten uns unter die Leute, die langsam den Tempel betraten, und holten uns ein hartes Kissen und ein Gebetbuch. Mr. Ishida und ich nahmen in einer der mittleren Reihen Platz. Ich breitete die Kutte über meine Beine, damit ich diese später unauffällig in eine bequemere Position bringen konnte. Als die Gebetsgesänge begannen, sah ich Mr. Ishida verstohlen von der Seite an, der laut vor sich hin brummte. Er war wirklich perfekt.
Wir sangen und beteten eine halbe Stunde lang, dann warfen wir uns vor dem Altar nieder. Mr. Ishidas Beine schienen genauso taub wie die meinen geworden zu sein, doch als ich eine Hand ausstreckte, um ihn zu stützen, winkte er ab und nahm lieber den Gehstock. Als ich wieder auf dem harten Kissen Platz nahm, merkte ich, daß jemand den Raum mit langsamen, schleppenden Schritten betrat. Ich hielt den Kopf geneigt, so daß ich nur den Saum einer schwarzen Robe sah. Der neue Priester gesellte sich zu den anderen auf der rechten Seite des Altars. Nach dem leisen Erklingen des Beckens begann die Zen-Meditation. Mr. Ishidas Atmung wurde langsam und regelmäßig, und ich versuchte seinem Beispiel zu folgen. Aber ich konnte mich nicht konzentrieren. Ich hatte ständig das Gefühl, beobachtet zu werden.
Den Kopf immer noch nach vorn geneigt, öffnete ich die Augen. Die Mönche und die Gläubigen, die sich auf der anderen Seite des Raums befanden, hatten alle andächtig die Augen halb geschlossen. Ich schaute unauffällig zu den drei Priestern hinüber, die beim Altar saßen. Auch sie hatten die Augen geschlossen. Nur nicht der Mann, der direkt neben dem Altar saß. Wajin. Jetzt wußte ich, wer mich beobachtete.
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Wajin
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