Zug um Zug
eine sehr begrenzte, insbesondere erscheint sie nicht sonderlich groß, wenn man ihren Militärhaushalt mit dem der Amerikaner vergleicht: Das Verhältnis beträgt etwa 8:1 zugunsten Amerikas. Einstweilen haben die Chinesen noch keinen einzigen Flugzeugträgerverband. Die Amerikaner haben elf Flugzeugträgerflotten, jede mit ungefähr fünfzig Geleitschiffen und Schutzschiffen und Flakschiffen: Das ist ein Verhältnis wie 100:1. Es ist unbestritten, dass die Chinesen aufrüsten; die Absicht, eine Flugzeugträgerflotte zu errichten, haben sie auch öffentlich bekanntgegeben. Aber immerhin haben wir es mit einem Volk von fast 1400 Millionen Menschen zu tun, in Amerika haben wir es zu tun mit 300 Millionen. Wenn man die militärischen Fähigkeiten dieser beiden Nationen miteinander vergleicht, sind die Amerikaner eindeutig und noch auf mindestens eine ganze Generation überlegen.
Steinbrück: Das ist offensichtlich. Trotzdem ist die Tendenz erkennbar, dass die Chinesen Seemacht werden wollen und damit anknüpfen an die Tradition des 15. Jahrhunderts, wo sie schon einmal eine gewaltige Flotte besaßen, die bis nach Afrika vordrang. Ich gebe Ihnen recht, dass es noch etwas dauert, bis China den USA gefährlich werden könnte. Aber heute wird mit anderen Waffen gekämpft. Wir sprachen über die enormen Währungsreserven, die Peking zur Verfügung stehen. Was machen sie damit? Zum Beispiel fangen sie an, Unternehmen und Technologie zu kaufen. Ich bin sehr gespannt, wie wir in Deutschland reagieren werden, wenn China in stärkerem Maße seine Reserven dafür einsetzt, in technologieorientierte deutsche Unternehmen zu investieren und Beteiligungen oder gar ganze Unternehmen zu übernehmen. Die Chinesen ersparen sich auf diesem Wege eigene Forschung, müssen sich nicht auf einen aufwendigen Wettbewerb einlassen, ja nicht einmal spionieren, sondern gelangen schnell und legal in den Besitz der jeweils neuesten Technologie oder Software.
Schmidt: Peer, Sie haben die maritimen Expeditionen unter dem Admiral Zheng He zu Beginn des 15. Jahrhunderts erwähnt. Inzwischen spielt sowohl in der chinesischen Führung als auch an chinesischen Universitäten die Erinnerung an jene Zeit eine ganz große Rolle. Man muss sich diese Expeditionen allerdings mal genauer angucken. Die Schiffe hatten ungefähr fünfzehn- bis zwanzigmal so viel Verdrängung und Tragfähigkeit wie hundert Jahre später die Schiffe von Kolumbus oder Vasco da Gama. Es waren riesenhafte Schiffe, 120 Meter lang, und es war eine ganze Flotte, die bis in den Persischen Golf, ans Horn von Afrika und an die afrikanische Ostküste unterwegs war auf mehreren Expeditionsreisen. Zusätzlich zu den Besatzungen hatten die Schiffe etwa 20000 Soldaten an Bord. Das heißt, es war eine Expeditionsarmee, die aber nicht eingesetzt wurde, die nur die Macht, die Größe und die Bedeutung des chinesischen Kaisers demonstrieren sollte. Zheng He lud die Leute in den Häfen, die er anlief, ein, nach Peking zu kommen, dreimal Kotau zu machen, Geschenke mitzubringen, Geschenke zu empfangen, in Gnaden entlassen zu werden und wieder nach Hause zu fahren. Keine Eroberung! Die chinesischen Kaiser – und zwar unabhängig davon, ob es sich um Han-Chinesen handelte oder um eine mongolische Dynastie oder eine mandschurische Dynastie – waren der Meinung: Wir sind der Mittelpunkt der Welt. »Middle Kingdom« haben die Engländer das übersetzt. Und die Chinesen waren zufrieden, wenn die anderen kamen, Geschenke brachten, Kotau machten und Tribut zahlten. China hat in den viertausend Jahren der chinesischen Geschichte kaum je eine expansive, erobernde Außenpolitik betrieben.
Steinbrück: Die Schiffe wurden nach sechs oder sieben Expeditionen verbrannt. Ist das der große Unterschied zwischen der westlichen ausgreifenden kolonisierenden Politik und der chinesischen Politik der Selbstvergewisserung? Und wenn ja, kann uns das heute wirklich beruhigen?
Schmidt: Den Chinesen fehlt das missionarische Element, das im Westen durch das Christentum, das aber genauso durch den Islam und heute auch durch die USA verkörpert wird. Die Vorstellung, dass alle Leute so sein sollen und sich so benehmen und ihre Staaten so organisieren sollen wie man selbst, ist den Chinesen fremd. So etwas wie die dreihundert Jahre von der Mitte des 16. bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, in dem die Europäer in Lateinamerika, in ganz Asien und schließlich fast ganz Afrika kolonisiert haben,
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