Zug um Zug
neuen Kurs zu fahren?
Schmidt: Ich würde uns empfehlen, das Gespräch über Israel nicht auszuweiten. Was immer wir dazu sagen, wir machen uns damit keine Freunde.
Steinbrück: Jeder kritische Satz über Israel ist in der Tat einem enormen Risiko der Missinterpretation ausgesetzt.
* * *
Steinbrück: Wir haben über die zunehmende Ideologisierung in Teilen des amerikanischen Parteiensystems gesprochen und die wirtschaftliche Lage der USA mit Blick auf ihre enorme Auslandsverschuldung gestreift. Wie wirkt sich diese Entwicklung auf die globalen Machtverhältnisse aus? Ich stehe unter dem Eindruck lesenswerter Analysen, nach denen das europäisch-atlantische Muster abgelöst wird durch ein asiatisch-pazifisches, Europa in eine Position zunehmender Schwäche gerät und der Verlust der Vorrangstellung der USA ein Vakuum entstehen lassen könnte.
Die abnehmende industrielle Wettbewerbsfähigkeit, ein multiples militärisches Engagement und eine Überdehnung der finanziellen Leistungsfähigkeit beeinträchtigen die herausragende Stellung der USA schon heute. Hinzu kommt das Auseinanderklaffen von Vermögen und Einkommen, das zu erheblichen sozialen Spannungen führen könnte. Mich beschäftigt auch die Frage, was es für die innere – wenn man so will, die sozialpsychologische – Verfasstheit eines Landes bedeutet, wenn es über Jahre seine jungen Männer (und manche Frauen!) in unübersichtliche, nie endende Kriege schickt. Es gibt zu diesem Thema zwei erschütternde Filme: The Deer Hunter (Die durch die Hölle gehen) von Michael Cimino am Beispiel des Vietnamkrieges und Im Tal von Elah von Paul Haggis am Beispiel des Irakkrieges.
Schmidt: Ich möchte einen wichtigen Aspekt hinzufügen: Die seelischen Beschädigungen, die diese jungen Leute davontragen, treffen allesamt Angehörige der Unterschicht. Man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass die künftige Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika in der Welt auch bestimmt wird durch die demographischen Verschiebungen innerhalb der USA. In vierzig Jahren, in der Mitte des Jahrhunderts, werden die Afro-Americans und die Latinos zusammen die Mehrheit der amerikanischen Wählerinnen und Wähler stellen. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um soziale Schichten, die danach drängen, Zugang zu erstklassigen Schulen und erstklassigen Universitäten zu bekommen, die danach drängen, dass es endlich eine anständige soziale Sicherung gibt – nicht nur eine Gesundheitsversicherung und eine Arbeitslosenversicherung, die ihren Namen verdienen, sondern auch eine Rentenversicherung, die den Namen verdient. Die innenpolitischen Probleme Amerikas werden an Gewicht gewinnen. Demgegenüber wird das Interesse der amerikanischen Wählerschaft an der Aufrechterhaltung der Weltordnung und der Verbreitung von Menschenrechten und Demokratie über den ganzen Erdball zurücktreten.
Das heißt, auch wenn es den Aufstieg Chinas und Indiens nicht gäbe, ist aus inneramerikanischen Gründen damit zu rechnen, dass der Ehrgeiz, die ganze Welt zu ordnen, in anderthalb Generationen eine deutlich geringere Rolle spielen wird als zu Beginn des 21. Jahrhunderts, zur Zeit von Bush jr.
Steinbrück: Diese Entwicklung ist jetzt schon zu beobachten. Das zeigt auch die Kriegsmüdigkeit in Afghanistan, von der Sie berichteten. Ich halte die USA inzwischen ökonomisch und militärisch für überdehnt und fürchte, dass sie zurückfallen könnten in eine isolationistische Phase.
Schmidt: Ich kann nur wiederholen, dass ich mich vor einem amerikanischen Isolationismus nicht fürchte.
Steinbrück: Helmut, Sie kennen die Geschichte der USA wahrscheinlich sehr viel besser als ich. Ich orientiere mich an der Entwicklung seit 1945, und da will mir die Rolle der USA als Weltordnungsmacht durchaus einleuchten, ja notwendig erscheinen. Wir können nicht wissen, was passiert, wenn diese Rolle nun unter dem Druck der innenpolitischen Probleme aufgegeben wird. Wobei ich diese Probleme keineswegs geringschätzen will, aber mich beschäftigt im Moment doch mehr die enorme Überschuldung der USA, und zwar sowohl die Staatsverschuldung einschließlich der Leistungsbilanzdefizite als auch die enorme private Verschuldung. Noch funktioniert das, weil es auf der Welt genügend Anleger gibt, die auf den Dollar vertrauen und die Schulden der Amerikaner ausgleichen. Aber die Verschuldung, insbesondere die Verschuldung gegenüber China, könnte mittelfristig auch zu politischen
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