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Zug um Zug

Zug um Zug

Titel: Zug um Zug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt / Peer Steinbrück
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Weise beeinflusst. Auch die beiden Weltkriege wurden zum Teil von Demokratien geführt –
    Steinbrück:   Helmut, dem würde ich widersprechen.
    Schmidt:   Darüber können wir uns dann jetzt schön streiten.
    Steinbrück:   Der Erste Weltkrieg ist maßgeblich ausgelöst worden von zwei ziemlich autokratischen Systemen, nämlich dem deutschen Kaiserreich und der k. u. k. Monarchie, die mit dem unsäglichen Ultimatum an Serbien den Krieg provozierte. Das Gleiche war 1939 der Fall, als Hitler mit dem Überfall auf Polen die Briten und Franzosen herausforderte. Das schließt nicht aus, dass Sie recht haben und auch Demokratien Kriege gesucht haben. Aber Ihrer These, dass Frieden und Demokratie nichts miteinander zu tun haben, würde ich widersprechen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Demokratien untereinander Krieg führen, ist sehr viel geringer als Krieg von autokratischen oder diktatorischen Systemen.
    Schmidt:   Ja, Peer, das ist eine mir durchaus geläufige amerikanische These, die Sie da vortragen. Aber Sie können zum Beispiel die Kolonialkriege nicht mit der linken Hand vom Tisch wischen; die europäischen Demokratien, die Holländer, die Engländer, haben mit militärischer Gewalt Kolonien errichtet. Und dann haben sie Sklavenhandel betrieben. Allesamt. Darf man auch nicht vergessen. Das Prinzip des Friedens ist einstweilen mit dem Prinzip der Demokratie nicht verschwistert, leider.
    Steinbrück:   Aber es gibt diese Korrespondenz eher als im Fall diktatorischer Staaten. Ich bleibe dabei: Frieden und Demokratie gehören für mich zusammen. Und wenn die westlichen Demokratien heute Kriege führen, dann sollten sie dies, völkerrechtlich legitimiert, nur aus humanitären Gründen tun, um Menschenrechte zu schützen.
    Schmidt:   Das Neueste, was der Westen zur Propagierung von Menschenrechten erfunden hat, ist das Prinzip Responsibility to Protect. Das ist nur ein anderer Ausdruck für die aggressive Verbreitung der Rechte der einzelnen Person. Und es steht im Widerspruch zum Völkerrecht. Die Erfindung des Völkerrechts, etwa einsetzend mit dem Westfälischen Frieden von Münster und Osnabrück, einsetzend mit Hugo de Groot, später philosophisch untermauert von Immanuel Kant, gehört zu den großen Errungenschaften der europäischen Aufklärung. Einer der wichtigsten Bestandteile des Völkerrechts ist das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates. Und gegen dieses moralische Gebot haben wir Europäer noch und noch verstoßen. Die Selbstgerechtigkeit der Europäer, ihr Selbstlob für die Aufklärung, kontrastiert ein bisschen hart mit dem, was sie in der Wirklichkeit zustande gebracht haben. Deswegen sollten sie ein bisschen weniger anmaßend sein nach meinem Geschmack.
    Steinbrück:   Dem widerspreche ich nicht; auch ich glaube, dass das Völkerrecht eine der großen Errungenschaften der europäischen Aufklärung ist. Aber es bietet mir keine Wegweisung, wie ich mit einzelnen Fällen umgehe. Spielte im Fall der Bekämpfung des Nationalsozialismus nicht die doppelte moralische Verpflichtung eine Rolle, erstens der Unterwerfung Europas unter das Joch der Nazis entgegenzutreten und zweitens dem damit verbundenen Völkermord Einhalt zu gebieten? War es nicht doch richtig, dass die Europäer in den fürchterlichen Auseinandersetzungen auf dem Balkan und dem damit verbundenen Völkermord intervenierten, zumal dies auf ihrem eigenen Kontinent stattfand?
    Schmidt:   Im Blick auf den millionenfachen Völkermord, den Holocaust der deutschen Nazis, teile ich Ihre Meinung voll und ganz. Auschwitz ist ein Ereignis, das völlig herausfällt aus der bisherigen Menschheitsgeschichte. Die Balkan-Intervention sehe ich jedoch anders, zumal wegen des damaligen begründenden Hinweises auf Auschwitz. Aber darüber hinaus war klar, dass auch eigensüchtige westliche Interessen ein wichtiges Motiv für den Bruch des Völkerrechts waren. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hatte nicht zugestimmt. Und schließlich wusste man nicht, wie man mit Anstand wieder herauskommt. Noch heute kämpfen Serben gegen Kosovaren. Für die Responsibility to Protect gibt es keine klaren Maßstäbe.
    Steinbrück:   Mich stört mehr, dass die Anwendung der Maßstäbe sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Warum wird in Libyen interveniert und in Syrien nicht? Warum haben wir ein militärisches Eingreifen im Fall des Balkankrieges gerechtfertigt mit dem Hinweis, weiteren Völkermord zu verhindern,

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