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Zug um Zug

Zug um Zug

Titel: Zug um Zug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt / Peer Steinbrück
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Schröder richtig.
    Steinbrück:   Zweifellos richtig. Dagegen hat im Fall von Libyen die deutsche Zurückhaltung –
    Schmidt:   Das war kein Fall von deutscher Zurückhaltung, das war reiner Opportunismus. Geschehen in Erwartung zukünftiger Meinungsumfragen. Als Gerhard Schröder vor die Frage gestellt wurde, wie Deutschland sich verhalten soll, hat er drei Leute gemeinsam zu sich gebeten. Das war Richard von Weizsäcker, das war Hans-Dietrich Genscher, und ich. Und wir haben ihm alle dasselbe gesagt: Solidarität mit Amerika. Wir haben ihm nicht gesagt: uneingeschränkte Solidarität, das Wort »uneingeschränkt« hat er selbst hinzugefügt –
    Steinbrück:   Das hatte er schon wenige Tage nach dem 11. September gesagt.
    Schmidt:   Ich hätte das Wort »uneingeschränkt« in keinem Zusammenhang gebraucht. Das habe ich für eine schwere Übertreibung gehalten. Aber was den Irakkrieg angeht, hat Schröder nicht populistisch in Erwartung der veröffentlichten oder öffentlichen Meinung gehandelt, sondern mit dem Rat von drei alten Leuten, die in seinen Augen das Spektrum der deutschen Politik abdeckten. Libyen ist ein ganz anderer Fall. Der Krieg gegen Gaddafi ist begonnen worden von den Franzosen, die haben die anderen mitgezogen. Obwohl sie von Nordafrika mehr verstehen als irgendjemand sonst in Europa, haben sie sich keine ausreichenden Vorstellungen gemacht, worum es da geht. Ich habe es für höchst zweifelhaft gehalten, dass es gelingen kann – noch dazu mit völlig unzureichenden militärischen Mitteln, nämlich nur von See her und aus der Luft –, eine Zivilbevölkerung davor zu schützen, von den eigenen Truppen oder der eigenen Polizei getötet zu werden. Es gibt keinen General, der das für vernünftig hält, das ist militärischer Unfug. Was dahintersteckt, ist in Wirklichkeit das Geltungsbedürfnis einiger Regierender im Westen, interessanterweise dieses Mal nicht der Amerikaner. Im Übrigen ging es in Wirklichkeit nicht um den Schutz der Zivilbevölkerung, sondern um einen Regimewechsel.
    Steinbrück:   Richtig, aber der Unfug ist geschuldet der Erkenntnis, dass jedes Entsenden von Bodentruppen von den Bürgern der beteiligten Länder natürlich überhaupt nicht akzeptiert werden würde.
    Schmidt:   Das musste man alles abwägen. Deswegen hätte ich als Deutscher dieser Art von militärischen Interventionen von Anfang an widersprochen; ich hätte mich deshalb auch nicht pathetisch an die Seite der Demonstranten in Tunis und in Ägypten gestellt. Ich hätte im Übrigen hinzugefügt: Das letzte Mal, dass die Deutschen in Libyen waren, war unter Rommel, und das reicht für dieses Jahrhundert.
    Steinbrück:   Helmut, das war im letzten Jahrhundert.
    Schmidt:   Es reicht für mehrere Jahrhunderte.
    * * *
    Steinbrück:   Ich würde gerne noch mal zurückkommen auf den Wettbewerb der Modelle. Meine Frage war, ob Europa als Blaupause für andere Länder interessant sein könnte. Mich beschäftigt der Gedanke, dass mit zunehmendem materiellen Wohlstand, mit zunehmender demographischer Verjüngung, mit der zunehmenden Emanzipation der Frauen und der Infragestellung patriarchalischer Systeme der Druck auf Diktaturen und despotische Systeme so groß wird, dass er gewissermaßen von selbst in den Ruf nach Bürgerrechten und Freizügigkeit mündet. Das beschäftigt mich insbesondere mit Blick auf das, was wir gerade in der Maghrebzone und im Nahen Osten erleben.
    Ich glaube nicht, dass diese Länder daran interessiert sind, ein westlich-demokratisches System zu kopieren. Aber allein schon die Forderung, die Korruption zu bekämpfen und unabhängige Gerichte zu schaffen, die es ermöglichen, den Staat zu verklagen, zeigt, wie viel sich in diesen Ländern inzwischen bewegt. Und deshalb will ich nicht ausschließen, dass Europa mit seinem Angebot an die Rechte des Individuums doch eine Art Vorbildfunktion haben könnte. Was im Übrigen umso erfolgreicher sein dürfte, je weniger missionarisch wir dabei auftreten. Auch wenn dieser Impetus des Westens, wie Sie sagen, in den letzten zweihundert Jahren vielfach missbraucht wurde und den betroffenen Ländern eher zum Schaden gereichte, könnte es diesmal gelingen, dass die aufstrebenden Länder ein Interesse und den politischen Willen entwickeln, die Werte und Rechtspositionen Europas auf ihre Verhältnisse zu übertragen.
    Schmidt:   Als alter Mann denkt man in immer längeren Zeiträumen, in längeren Zeiträumen jedenfalls als früher, als man

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