Zug um Zug
aber im Fall von Ruanda oder Burundi nicht? Deswegen, würde ich sagen, braucht man eine koordinierte europäische Außenpolitik, um unterscheiden zu können, wo ein Eingreifen zu rechtfertigen und wo es selbstmörderisch ist.
Schmidt: Und wo es sich von vornherein verbietet.
Steinbrück: Damit berühren wir aber eine der zentralen Schwächen Europas: dass es ein solches außen- und sicherheitspolitisches Konzept nicht gibt. Wir haben niemanden, der über die Frage entscheidet, was im europäischen Interesse und im Sinn des europäischen Wertekanons zu verantworten ist. Man muss ja nicht in jedem Fall militärisch intervenieren, es gibt auch andere Antworten wie außenpolitische Isolation und insbesondere ökonomische Sanktionsmechanismen. Die müssen nur wirken, und sie müssen verabredet sein. Leider werden sie immer durchlöchert, weil sich die Völkergemeinschaft nicht einig ist, wenn es darum geht, wirkungsvolle Sanktionen wirklich zu erlassen und vor allen Dingen durchzusetzen.
Schmidt: Das Motiv für die Entwicklung des Völkerrechts im Laufe der letzten vier Jahrhunderte war die Vermeidung von Kriegen oder die Kanalisierung von Kriegen. Bis dahin war der Krieg ein selbstverständliches Element des menschlichen Zusammenlebens. Das Alte Testament enthält ich weiß nicht wie viele Kriege, ohne dass diese kritisiert werden in der Bibel. Das Gleiche gilt für den Islam. Es war der Grieche Heraklit, fünfhundert Jahre vor Christus, der die These aufgestellt hat, der Krieg sei der Vater aller Dinge. Viele hundert Jahre später kommt Augustinus und entwickelt, theologisch begründet, die Theorie vom gerechten Krieg. Und wiederum mehr als tausend Jahre später kommt Hugo de Groot, kommt Kant, kommt der Versuch der Europäer, ein Recht im Kriege zu schaffen, die Genfer Konventionen, das Rote Kreuz und dergleichen. Alles vor dem Ersten Weltkrieg. Und wird während des Ersten Weltkrieges sofort gebrochen. Und jetzt fangen wir an, uns eine Rechtfertigung zu schaffen zu weiteren kriegerischen Eingriffen, genannt Responsibility to Protect, das heißt, eine Rückkehr zu Clausewitz oder Machiavelli: Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Das sehe ich mit großem inneren Unbehagen.
Steinbrück: Wenn das so ist, wie Sie sagen, kommt die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik natürlich in eine irrsinnig schwierige Lage. Wenn wir zu dem Ergebnis gelangen, dass das Völkerrecht ganz obenan zu stellen ist, auf der anderen Seite aber die These vertreten, dass Deutschland in seiner Außen- und Sicherheitspolitik und in seiner Bündnisorientierung verlässlich sein muss – in welche Verlegenheit kommen wir denn da, sobald der UN-Sicherheitsrat, nicht zuletzt aus humanitären Gründen, eine militärische Intervention auf internationaler Basis mandatiert?
Schmidt: Der Sicherheitsrat hat, wenn ich das richtig weiß, keine Intervention »mandatiert«; er hat sie gerechtfertigt, aber er hat niemanden verpflichtet, ein Mandat anzunehmen und es auszuführen.
Steinbrück: Das ist richtig. Nur: Wenn dann Alliierte, und insbesondere NATO-Alliierte, an Deutschland herantreten und sagen, ihr könnt nicht von uns Niederländern, von uns Norwegern, von uns Kanadiern erwarten, dass wir unsere Jungs dorthin schicken, und ihr Deutschen haltet euch da weitestgehend raus, weil ihr eine Art glänzende große Schweiz sein wollt, dann wird es für unsere Außen- und Sicherheitspolitik sehr schwierig.
Schmidt: Das Völkerrecht besteht heutzutage zu einem wesentlichen Teil aus der Satzung der Vereinten Nationen. Diese schließt die besonderen Rechte des Sicherheitsrats ein, die wiederum die Vetorechte von fünf Staaten einschließen, die nicht zufällig gleichzeitig die fünf ursprünglichen Atomstaaten sind. Nehmen Sie den Krieg gegen den Irak. Da gibt es keinen Beschluss des Sicherheitsrats. Warum nicht? Weil abzusehen war, dass einige Vetomächte ihr Veto einlegen würden. Das heißt, der Krieg gegen den Irak war ein eklatanter Verstoß gegen das geltende Völkerrecht. Blieb ohne Ahndung. Wer schützt mich davor, dass morgen jemand anders –
Steinbrück: Niemand. Und gleichzeitig hat die richtige deutsche Entscheidung, sich an diesem Irakkrieg nicht zu beteiligen, das deutsch-amerikanische Verhältnis tief beeinflusst, mit massiven Vorwurfshaltungen sowohl der Amerikaner als auch der damaligen Oppositionsführerin im Deutschen Bundestag.
Schmidt: Trotzdem war der Entschluss von
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