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Zug um Zug

Zug um Zug

Titel: Zug um Zug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt / Peer Steinbrück
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Phase – allein auf zwei Themen reduzieren würde: Renteneintrittsalter und Hartz IV. Aber das reiche nicht. Insbesondere jüngere Menschen würden fragen: Welche inhaltlichen Angebote hat die SPD für meine Generation? Was sagt sie zur Bildungspolitik? Wie steht es um meine Berufsperspektiven? Was sagt sie zu Bürgerfreiheiten? Welche Vorstellungen hat sie europapolitisch? Aber die SPD reduzierte sich damals auf zwei oder drei Themen und machte die böse Erfahrung, dass dies für eine Volkspartei nicht ausreicht, um attraktiv zu erscheinen und neugierig zu machen.
    Schmidt:   Ich habe den Sozialstaat einmal die herausragende kulturelle Leistung der Europäer im 20. Jahrhundert genannt. Daran halte ich fest. Und ich bleibe dabei, dass er ohne die Sozialdemokratie gefährdet sein könnte. Was im Übrigen die Felder künftiger sozialdemokratischer Politik angeht, so ist auch in meinen Augen ein ganz wichtiger Punkt die Veränderung des gegenwärtigen Hochschulsystems in Deutschland. Wir haben fast überall Massenuniversitäten. Es ist ausgeschlossen, dass eine Massenuniversität wie die in Hamburg mit 40000 Hörern gleichzeitig eine Elite-Universität sein kann. Das kann nur im Ausnahmefall mal glücken. Was mir missfällt, ist, dass an diesen Massenuniversitäten von hundert Studenten dreißig ihr Studium irgendwann abbrechen – aber bis dahin hat der Staat sie finanziert. Und was mir ebenso missfällt, ist, dass die Masse der Studenten, die erfolgreich abschließen, auch schon akademische Eltern haben. Oder anders ausgedrückt: Einerseits fehlt die gleiche Chance des Zugangs zu höherer Bildung für jedermann, und andererseits fehlt ein System von Zwischenprüfungen, das die Leute, die es nun wirklich nicht schaffen, rechtzeitig auf das Erlernen eines anderen Berufes verweist. Es muss ja nicht jeder ein Politologe werden.
    Ich habe übrigens nichts einzuwenden gegen Studiengebühren, vorausgesetzt, dass erstens der Staat das Studium mit Bafög finanziert und dass zweitens der Empfänger von Bafög später, wenn er mal ein schönes Einkommen hat, zurückzahlt. Das ist das Prinzip, nach dem die Bucerius Law School in Hamburg funktioniert: die Studierenden später zurückzahlen zu lassen. Diejenigen allerdings, die bei den Zwischenprüfungen zweimal durchfallen, gehören exmatrikuliert. Dass wir sie durchschleppen und uns damit letztlich eine Schicht schaffen von Studierten, die im Grunde unzufrieden sind mit dem weiteren Verlauf ihres Lebens, halte ich für eine ziemlich teure – für die Steuerzahler ziemlich teure – und psychologisch für die Gesellschaft abträgliche, in Einzelfällen sogar gefährliche Entwicklung.
    Steinbrück:   Es fängt früher an. In Deutschland gehen pro Jahr ungefähr 60000 bis 70000 Jugendliche ohne Abschluss von der Schule. Sie sind die wahrscheinlichen Verlierer auf dem Arbeitsmarkt. Wir haben viele, die keinen Berufsabschluss erzielen – sie sind die künftigen Empfänger von Sozialleistungen. Die Studienabbrecher und Bummelstudenten – von denen einige allerdings gezwungen sind, neben dem Studium ihren Lebensunterhalt zu verdienen – belasten zweifellos Steuerzahler und Abgabenzahler. Das Problem ist, dass die SPD in allen Landtagswahlkämpfen mit der Abschaffung der Studiengebühren auch zur Beseitigung sozialer Nachteile geworben hat. Das von Ihnen skizzierte System der Studiengebühren, das sogenannte nachgelagerte System, hat eine gewisse Attraktivität, wenn es funktioniert. Ich halte es in der Tat nicht für abwegig, denjenigen, die ihr Einkommen dank eines öffentlich finanzierten Studiums erzielen, einen gewissen Beitrag abzuverlangen, der zur Hochschulfinanzierung herangezogen wird. Die Erhebung von Gebühren im laufenden Studium hat einen sozial ausgrenzenden Charakter.
    Schmidt:   Wir sollten auch die andere Seite in die Pflicht nehmen. Alle möglichen Industrieverbände klagen zurzeit darüber, dass sie kein Fachpersonal auf dem Arbeitsmarkt finden. Und sie plädieren öffentlich hörbar dafür, dass man die Leute aus dem Ausland holt. Was mir völlig fehlt, ist die Einsicht der Unternehmer – insbesondere ihrer Arbeitsdirektoren und Personalchefs –, dass sie selber die Leute ausbilden müssen. Es steckt in den heutigen drei Millionen Arbeitslosen eine ganze Menge an Intelligenz und Fähigkeiten, die nicht ausgeschöpft werden. Ich will mich nicht damit abfinden, dass man diese Menschen als Prekariat abschreibt, ein neues Schlagwort, das ich

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