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Zug um Zug

Zug um Zug

Titel: Zug um Zug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt / Peer Steinbrück
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diesem Prozess der Flexibilisierung und Auflösung aller Strukturen. Und das wird eine Gesellschaft irgendwann, wie ich glaube, zerreißen.
    Ich will Leiharbeit als Instrument, Spitzenlasten auszugleichen, nicht verbieten, aber ich will, dass zwei Bedingungen eingezogen werden. Erstens: Jedes Unternehmen darf nur einen bestimmten Prozentsatz seiner Gesamtbelegschaft über Leiharbeit beschäftigen. Zweitens: Equal Pay – gleiche Bezahlung. Leiharbeiter sollen in kürzester Zeit dieselben Löhne bekommen wie die Stammbelegschaft. Es wird immer einige geben, die über Leiharbeit beschäftigt sein wollen, und den Unternehmen hilft die Leiharbeit, Auftragsspitzen und konjunkturelle Täler auf diese Weise auszugleichen. Deshalb bin ich nicht im Prinzip gegen Leiharbeit, aber nahezu die Hälfte einer Belegschaft als Leiharbeiter zu beschäftigen, das halte ich für völlig unverantwortbar.
    Schmidt:   Das Prinzip des Mindestlohns und das Prinzip der tarifarisch, obrigkeitlich festgelegten, aber in Wirklichkeit zwischen zwei Monopolisten, nämlich Arbeitgeberverband und Gewerkschaft, ausgehandelten Löhne beißen sich gegenseitig. Insgesamt tragen beide Prinzipien zur Unbeweglichkeit der Löhne bei. Es ist ein paar Jahre her, dass ich mich mit dem Thema Mindestlohn beschäftigt habe. Denn ich fühlte mich da ganz unsicher. Der Mindestlohn muss einerseits deutlich höher sein als Hartz IV, er darf andererseits nicht allzu weit entfernt sein von der niedrigsten Klasse des Tariflohns.
    Steinbrück:   Einverstanden.
    Schmidt:   Das heißt, es ist eine sehr schmale Marge, in der er sich bewegt.
    Steinbrück:   Ja, wahrscheinlich zwischen 7,50 und maximal 9 Euro pro Stunde. Sie haben völlig recht, er darf nicht in der untersten Tariflohngruppe Metall oder Chemie sein. Und er darf zweitens, bezogen auf die Produktivität, nicht so hoch sein, dass letztlich die Kosten nicht verdient werden können. Er muss also in etwa sich orientieren an der durchschnittlichen Produktivität einer Branche, weshalb ein branchenspezifischer, vielleicht sogar regionalspezifischer Mindestlohn eigentlich besser wäre als ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn. Das wäre die Optimallösung. Aber da es darüber enorme Abgrenzungsprobleme, Unsicherheiten und ein hohes Streitpotenzial gäbe, ergo keine Fortschritte, bin ich für den gesetzlichen Mindestlohn. Zwar ist der Hinweis, dass von den 27 EU-Ländern 22 oder 23 Mindestlohnbestimmungen haben, noch nicht erkenntnisfördernd, weil sich die Mindestlohnsysteme international deutlich unterscheiden. Aber er ist immerhin ein Argument, das Thema zu enttabuisieren. Es wird ja von einigen so getan, als ob mit Einführung des Mindestlohns die Wirtschaft zusammenbricht und eine Entlassungswelle übers Land rollt. Das ist alles Blödsinn!
    Schmidt:   Ich habe noch ein anderes Problem, was den Arbeitsmarkt angeht, ein grundsätzliches. Ich bezweifle, dass es vernünftig ist, den beiden Monopolisten – sprich: Arbeitgeberverband und Gewerkschaft – von Gesetzes wegen eine Monopolposition einzuräumen.
    Steinbrück:   Das wäre die Aufhebung der Tarifautonomie.
    Schmidt:   Ich bin für die Tarifautonomie, aber ich zweifle an der gesetzlichen Bestimmung, dass der Bundesminister für Arbeit und Soziales das Recht und die Pflicht hat, einen geschlossenen Tarifvertrag nachträglich für allgemeinverbindlich zu erkennen. Das ist der Gegenstand meines Zweifels. Und dann diese Sucht, alles zu regulieren! Als ich mich einmal – das liegt einige Jahre zurück – mit Lohntarifverträgen und Manteltarifverträgen beschäftigt habe, fand ich durch Zufall heraus, dass im Land Niedersachsen allein vier verschiedene Tarifverträge für das Friseurhandwerk für allgemeinverbindlich erklärt worden waren, für vier verschiedene Tarifbezirke vier verschiedene Löhne. Daraufhin habe ich mich erkundigt, ob es auch für Hamburg so einen Tarifvertrag gab. Ja, gab es. Dann habe ich die Friseure gefragt, den einen in der Hermannstraße und den anderen, bei dem ich heute bin. Der eine hat gesagt, für das Geld kriege ich hier überhaupt keinen, ich muss viel mehr zahlen. Der andere hat gesagt: Wie komme ich dazu, einen solch riesenhaften Lohn zu zahlen? Keiner hat den für allgemeinverbindlich erklärten Tarif befolgt. Diese Sucht, alles und jedes zu regulieren, lädt dazu ein, den Tarifeur, der den Tarif zum Gesetz macht, zu hintergehen.
    Steinbrück:   Da ist was dran. Aber die angestellten Friseure sind

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