Zug um Zug
kein gutes Beispiel. Weil sie schlecht verdienen, sollten sie entsprechend viel Trinkgeld kriegen. Bei meinem steht ein dickes Sparschwein neben der Kasse, und was ich da reinschmeiße, wird an die Mitarbeiter verteilt.
Schmidt: Um es noch einmal klar zu sagen, ich bin keineswegs gegen die Tarifautonomie, im Gegenteil. Aber das Schlagwort wird auch dazu benutzt, die Monopolstellung der Gewerkschafts- und der Arbeitgeberzentralen zu untermauern. Weil ich für die Tarifautonomie bin, bin ich auch dafür, dass es Unternehmenstarife geben darf.
Steinbrück: Tut es ja auch.
Schmidt: Nicht durchgängig. In der Chemie zum Beispiel gibt es keine Unternehmenstarife.
Steinbrück: Das ist nun allerdings die vernünftigste Gewerkschaft der Welt, die IGBC.
Schmidt: Ja, das unterschreibe ich.
Steinbrück: Ich war früher in der IG Metall, und dann habe ich eines Tages den Kanal voll gehabt – für sozialdemokratische Positionen immer wieder von denen verbal verprügelt zu werden! Teile der IG Metall haben massiv gegen uns Dampf gemacht und einige ihrer Verwaltungsstellen der Linkspartei geöffnet.
Schmidt: Dass die Gewerkschaftszentrale und einige Unterzentralen der IG Metall sich für politisch berufen gefühlt haben, zum Beispiel die Partei der Linken ins Leben zu rufen, zum Beispiel die Politik der Regierung, der Sie angehört haben, zu unterminieren, war in meinen Augen skandalös. Teile der IG Metall haben da einen politischen Einfluss ausgeübt, der ihnen nicht zustand.
Steinbrück: Dem widerspreche ich nicht. Das war einer der Gründe, warum ich da ausgetreten und in die IGBC eingetreten bin.
Schmidt: Ja, ein Einfluss, der ihr wirklich nicht zustand. Zu dem sie auch nicht legitimiert war durch irgendeine Volksabstimmung oder eine Parlamentsabstimmung. Ich habe Zweifel, was die IG Metall angeht. Wir haben Glück, dass wir in Berthold Huber zurzeit jemanden haben, der Augenmaß hat und über die Interessen seiner Gewerkschaftskollegen hinausdenkt. Da kommt demnächst allerdings wieder ein Wechsel. Man kann sich nicht vorstellen, was auf den Gewerkschaftsschulen der IG Metall an Klassenkampfparolen verbreitet worden ist. Da ist eine Machtposition entstanden, die einen mit Besorgnis erfüllen kann.
Steinbrück: Ich habe mitgekriegt, wie die IG Metall und die ver.di-Leute 2003, 2004, 2005 gegen uns mobilgemacht haben –
Schmidt: Ich bin immer noch Mitglied bei ver.di, ich zahle Rentnerbeiträge –
Steinbrück: Das hätte ich nicht gedacht!
Schmidt: Es besteht gar kein Zweifel, Peer, dass die Gewerkschaften eine stabilisierende Rolle gespielt haben im Laufe der letzten sechzig Jahre, gar kein Zweifel. Aber! Zum Beispiel heute vor 35 Jahren, etwas mehr, habe ich erlebt, wie ein Gewerkschaftsboss – damals ein Freund von mir, Heinz Kluncker – den Willy Brandt genötigt hat, und zwar mit Erfolg. Die tatsächliche Lohnerhöhung für den öffentlichen Dienst von einem Jahr zum anderen lag, richtig ausgerechnet, über 13 Prozent, völlig verrückt. Ich war Finanzminister und musste das ertragen, musste es auch bezahlen. Ein Jahr später war ich Regierungschef, und Heinz Kluncker kam zu mir und sagte: »Helmut, ich verlange 15 Prozent.« – Und ich sagte gleich zu ihm: »Du kannst mich am Arsch lecken!« So drastisch haben wir uns unterhalten. Wir kannten uns seit 1946. Und dann sagte er: »Dann lass ich die Mülltonnen ungeleert auf den Straßen stehen.« Da habe ich gesagt: »Dann gehe ich ins Fernsehen und sage dem deutschen Volk, dass du das Oberschwein bist, das für diese Sauerei auf den Straßen verantwortlich ist. Dann wollen wir mal sehen, wer sich durchsetzt.« Ich habe mich unnachgiebig verhalten, er hat nachgegeben. Wenn er nicht nachgegeben hätte, weiß der Kuckuck, was daraus entstanden wäre. Das heißt, die Machtposition eines Gewerkschafters an der Spitze von ver.di oder IG Metall geht über das hinaus, was die Verfassung, was das deutsche Grundgesetz unter dem Gesichtspunkt der Rechte des Einzelnen den Bürgern zubilligt.
Steinbrück: Das sind die zwei Seiten einer Medaille. Erstens: Sie haben recht, dass die Gewerkschaften und Betriebsräte in den letzten Jahren enorm stabilisierend gewirkt haben; sie haben es knurrend sogar hingenommen, dass darüber die reale Lohnentwicklung für einen bestimmten Teil der Arbeitnehmerschaft negativ gewesen ist. Ich komme deshalb zu dem Ergebnis, dass die Gewerkschaften mit Blick auf die jetzige
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