Zug um Zug
von ihren Sparkonten Geld bereitzustellen, um das Unternehmen mit Liquidität zu versorgen. Da habe ich fast Tränen in den Augen gehabt. Ich habe dringend abgeraten. Ich habe gesagt: Ihr seid wohl verrückt, stellt euch vor, ihr gebt eure Spareinlagen, um die Liquiditätszufuhr eures Unternehmens zu fördern, und anschließend klappt das nicht, und alle eure Spareinlagen sind weg. Das waren Betriebsräte!
Schmidt: Ich habe einen Riesenrespekt vor der Leistung der Betriebsräte im Laufe der letzten fünfzig Jahre. Ich habe durchaus Respekt vor der Leistung der Gewerkschaften, aber die Betriebsräte, die sind für mich unendlich viel wichtiger.
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Steinbrück: Ich habe mir für diese Gesprächsrunde ein Stichwort notiert: die Parteiaktivitas. Es geht – lassen Sie uns das Wort gelassen aussprechen – um Parteifunktionäre. Solche Funktionäre, die in der Lage sind, die eigene Partei zu mobilisieren, sind eine notwendige Bedingung, um die Partei buchstäblich am Laufen zu halten und zum Beispiel einen Wahlkampf zu gewinnen – eine notwendige Bedingung, eine hinreichende sind sie nicht. Ich habe dieses Stichwort deshalb notiert, weil ich nach manchen kritischen Bemerkungen über die Mentalitäten und Interessen dieser Funktionärsebene gescholten wurde, was ich akzeptiere.
Ich will nicht dahingehend missverstanden werden, dass ich die Arbeit der Parteifunktionäre nicht zu würdigen weiß, dass ich auf Distanz gehe, geschweige denn in eine Geringschätzung falle. Mir ist sehr bewusst, dass man erhebliche Kräfte braucht, um die eigene Partei hinter sich zu scharen und eine Kampagne zu gestalten mit einer hohen Durchschlagskraft. Der Punkt ist nur, dass manche Teile der SPD darüber das Ziel aus den Augen verlieren, nämlich über die Grenzen der SPD hinaus in Wählermilieus und Gesellschaftsschichten vorzustoßen, die sich nicht überzeugen lassen durch sozialdemokratische Korrektheit oder gar Rechthaberei. Man ist in einem Spagat: Diejenigen, die der Partei am engsten verhaftet sind, können sie auch am besten mobilisieren, haben aber eine geringere Reichweite in breite Wählermilieus. Und diejenigen, die umgekehrt eine größere Reichweite in die Wählerschaft haben, scheinen weniger in der Partei verhaftet und verwirren sie vielleicht sogar mit der einen oder anderen intern schwer verdaulichen, aber extern positiv registrierten Stellungnahme. Hier liegt für mich eine Schlüsselfrage für den nächsten Bundestagswahlkampf.
Schmidt: Ich weiß, wovon Sie sprechen, Peer. Es liegt einige Jahrzehnte zurück, dass ich als Regierungschef mich weniger auf die Delegiertenkörper unserer Partei stützen konnte – zumal sie zunehmend in Flügel zerfielen – als vielmehr auf die öffentliche Meinung des wählenden Publikums und auf die eigene Bundestagsfraktion. Beide waren stärker auf das gemeinsame öffentliche Wohl orientiert; die Funktionäre waren zum Teil stärker auf das Wohl der Partei und ihre persönliche Stellung innerhalb der Partei ausgerichtet.
Ich will in diesem Zusammenhang auf ein Phänomen aufmerksam machen, das es in früheren Jahrzehnten in diesem Ausmaß nicht gegeben hat: Die Finanzierung der politischen Parteien spielt leider Gottes für das Ergebnis eines Wahlkampfs heute eine größere Rolle als früher, und die Finanzierung ist in viel höherem Maße als früher eine aus der Kasse des Staates und des Steuerzahlers – die sogenannte Wahlkampfkostenerstattung. Ungefähr achtzehn oder zwanzig Parteien haben im letzten Bundestagswahlkampf ihre Wahlkampfkosten aus der Steuerkasse erstattet bekommen, obwohl sie keinen einzigen Abgeordneten in den Bundestag haben entsenden können. Letzteres schadet nichts, nur um das Geld des Steuerzahlers ist es schade.
Was schlimm ist: dass die Wahlkampfkostenerstattung in die Kasse der Parteizentralen fließt. Alle Parteizentralen sind heutzutage große Think-Tanks geworden – übrigens nicht mit erstklassigem Personal besetzt. Sie haben eine ganz große Einflussmacht auf die Politik – zum Beispiel des Landes Schleswig-Holstein oder des Landes Hamburg oder des Landes NRW. Die Macht der Parteizentralen ist heute unendlich viel größer als etwa zu Zeiten von Erich Ollenhauer und Konrad Adenauer oder auch noch zu Zeiten von Willy Brandt und Rainer Barzel – weil sie über Geld und über Stellen verfügen. Es kommt hinzu, dass auch die sogenannten parteinahen Stiftungen – Adenauer-Stiftung, Ebert-Stiftung und so weiter – aus der
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