Zug um Zug
dass zum Beispiel der sogenannte Stabilitäts- und Wachstumspakt, den man im Zusammenhang sehen muss mit Maastricht, von Frankreich und Deutschland defraudant gebrochen worden ist, dass diese beiden Länder aber davongekommen sind ohne jede Strafe, ohne jede Sanktion und damit ein Beispiel gegeben haben für andere, für die Portugiesen und die Griechen. Dieser Konstruktionsfehler, den Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht mit einer Rechtsqualität auszustatten, ist ein entscheidendes Versäumnis gewesen.
Und noch ein Wort zu den Banken: Kein Mensch ist aufgestanden und hat protestiert, als in den frühen neunziger Jahren, etwa zur Zeit von Maastricht, der Shareholder Value zum obersten Prinzip des privaten Wirtschaftens erklärt wurde. Der Aufsichtsratsvorsitzende des DAX-Unternehmens, dessen Vorsitzender dieses Schlagwort in die Welt gesetzt hat – Shareholder Value –, war typischerweise ein Banker.
Steinbrück: Diese Deregulierungsarien, die gesungen wurden, dann das Hohelied des Shareholder Value oder die Übernahme anglo-amerikanischer Bilanzierungsregeln – denen hat sich die Politik, wie ich bekenne, allzu schnell ergeben. Aber alle sangen diese Arien mit, die Wirtschaft und ihre Verbände, die Medien, die wirtschaftswissenschaftlichen Hochschulen in Deutschland. Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendjemand die Politik ermuntert hat, sich diesen, fast hätte ich gesagt, turbokapitalistischen Zielsetzungen zu widersetzen. Im Gegenteil, in dem Augenblick, wo man das Thema erwähnte und laut darüber nachdachte, ob man nicht stärker eingreifen müsste, wurde man als Gegner der freien Marktwirtschaft hingestellt und massiv attackiert. Die Auflösung der Deutschland AG war positiv besetzt. Das war geradezu eine Ideologie, deren Kernbotschaft lautete, die Politik habe sich rauszuhalten, die Märkte würden von allein ein Gleichgewicht herstellen, ihre Effizienzmechanismen dürften durch keine politischen Einflüsse gestört werden. Hinzu kam die Idealisierung einer Wettbewerbsgesellschaft, in der sämtliche Kräfte in allen Lebenslagen dem Mechanismus des Marktes folgen sollten. Reste und Ableger dieser Erlösungsvorstellungen, die politisch mit Reagan und Thatcher ihren Siegeszug antraten, finden sich noch heute in der amtierenden Koalitionsregierung. Einige von ihnen merken allerdings langsam, dass über diese Marktorthodoxie Destruktivkräfte freigesetzt werden, die bürgerlich-liberale Werte und Tugenden wegfegen. Sie haben sich über ihre Marktversessenheit selbst in ein moralisches Vakuum manövriert.
Schmidt: Für ein DAX-Unternehmen schien es damals kein anderes Ziel mehr zu geben, als an der New Yorker Börse gelistet zu werden. Das ist ein Schwerstfehler gewesen, den unter anderen mein Freund Heinrich von Pierer teuer bezahlt hat.
Steinbrück: Viele, die sich darum bemühten, von der Liste der New Yorker Börse wieder runterzukommen, sind auf erhebliche Probleme gestoßen – Probleme, die ich erst mit Bob Kimmitt, dem damaligen stellvertretenden US-Finanzminister und früheren Botschafter der USA in Deutschland, lösen konnte.
Schmidt: Wie viele sind inzwischen von der Liste wieder runtergekommen?
Steinbrück: Ich vermute mal, die Bemühungen, in New York gelistet zu werden, haben sich in der Hochzeit vielleicht erstreckt auf zwölf oder dreizehn Unternehmen. Jetzt sind es nur noch fünf.
Schmidt: Eine der schlimmen Konsequenzen, die wir im Augenblick nur noch nicht im Blick haben, liegt auf einem anderen Feld, nämlich dass sich die DAX-Unternehmen, die in New York gelistet wurden, inzwischen angewöhnt haben, zwei verschiedene Vermögensbilanzen aufzumachen.
Steinbrück: Ja, aber da kommen sie nicht raus. Ein börsennotiertes Aktienunternehmen, das grenzüberschreitend tätig ist, muss nach IAS (International Accounting Standards) bilanzieren und nicht nach HGB (Handelsgesetzbuch), da kommen sie nicht drum herum. Wenn sie das nicht tun, haben sie auf den Finanzmärkten keine Chance.
Schmidt: Mein Eindruck war bisher, dass dies zu tun hat mit der Listung an der New Yorker Börse und dass es sonst nicht so weit gekommen wäre.
Steinbrück: Wall Street mag einer der Gründe gewesen sein, aber es ist nicht der entscheidende. Im Übrigen entsteht nicht nur bei der Bilanzierung nach IAS für viele deutsche Unternehmen im Vergleich zu der klassischen HGB-Bilanzierung ein Nachteil, auch in anderen Fällen müssen wir aufpassen, dass deutsche Spezifika
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