Zug um Zug
nicht zu einem Nachteil werden. Ich will ein Beispiel geben. Ich bin absolut für Basel III, die Verschärfung der Eigenkapitalquote, aber die Amerikaner und die Engländer und andere definieren hartes Kernkapital anders als wir in Deutschland. Zum Beispiel werden stille Einlagen, die insbesondere bei den Sparkassen in Deutschland eine gewisse Rolle spielen, nach den bisherigen Erörterungen bei Basel III nicht als hartes Kernkapital definiert. Das wirkt sich natürlich zum Nachteil der Kernkapitalausweisung von deutschen Kreditinstituten aus. Jetzt wird es darum gehen, dass es zumindest Übergangsfristen gibt, in denen sie ihre stillen Einlagen gegebenenfalls in hartes Kernkapital überführen können. Aber dafür brauchten sie etwas Zeit. Insofern spielt die amerikanische Definitionshoheit über die Spielregeln auf Börsenplätzen und Finanzmärkten nach wie vor eine Rolle. Die verdanken sie übrigens nicht zuletzt der Dominanz ihrer Wirtschaftswissenschaften in Harvard, Yale oder Princeton. Besonders grotesk dabei ist, dass die Amerikaner diejenigen waren, die stramm auf Basel II gedrängt haben, und die Letzten sind, die es umsetzen.
Schmidt: Peer, wenn wir uns im Laufe der neunziger Jahre gewehrt hätten gegen die weltweite Allgemeingültigkeit dieser internationalen Bilanzierungsregeln: Hätte das dazu geführt, dass die Aktien von Siemens oder Daimler-Benz oder VW in der Welt weniger wert gewesen wären als in den achtziger Jahren?
Steinbrück: Das glaube ich nicht, weil es auf die Leistungsfähigkeit der einzelnen Unternehmen ankommt. Nur war das gesamte ökonomische Umfeld in den neunziger Jahren anders definiert, vor allem bei denjenigen, die die Auflösung der Deutschland AG für richtig hielten, nach dem Motto: Illiquides oder unproduktives Kapital muss mobilisiert werden, und deshalb müsst ihr auf Quartalsbilanzen eingehen und damit börsenfähiger sein als vorher. Das ist eine ganz breite Bewegung gewesen in Deutschland, an der viele beteiligt waren, übrigens auch mit aktiver Unterstützung von FDP- und CDU-Leuten – ich erinnere mal an den früheren Wirtschaftsstaatssekretär Johann Eekhoff oder an die Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, die das nur dem Namen nach war, aber in Wirklichkeit nichts anderes vertreten hat als ein angloamerikanisches Muster. Dem sind die Wirtschaftswoche und die FAZ -Wirtschaftsredaktion wie viele andere begeistert gefolgt, auch die deutschen Professoren.
Schmidt: Meine Frage ist immer noch, ob der BDI oder der Bankenverband nicht hätten gegenhalten sollen. Ich denke an eine bestimmte Einzelheit, die mir zutiefst missfällt. Das ist die Bewertung von Anlagen in der Vermögensbilanz einer Aktiengesellschaft. In Deutschland gilt das Wertprinzip nach HGB, das ist absolut vernünftig. Das internationale Bewertungsregularium erlaubt es, zum Tageswert zu bewerten. Dass das Vermögen zwei Tage später plötzlich sehr viel niedriger ist –
Steinbrück: Das ist alles richtig. Wenn sie nach HGB bilanziert hätten, wäre der Verlust niemals eingetreten. Das andere Prinzip – wie heißt es noch? Es gibt dafür einen englischen Fachausdruck, den ich im Augenblick nicht präsent habe –
Schmidt: Wie groß ist die Divergenz, was Bilanzierungsregeln angeht, zwischen HGB und Aktienrecht?
Steinbrück: Kann ich Ihnen in absoluten Zahlen oder Prozentsätzen nicht sagen, ich vermute mal, es könnten mit Blick auf den operativen Gewinn vielleicht 20 Prozent sein. Aber ich bin nicht sicher. Wie heißt denn dieser englische Fachausdruck jetzt?
Schmidt: Fair Value! Ich sehe mit Befriedigung, dass es auch bei Ihnen beginnt Gedächtnislücken zu geben. Die werden bei mir immer schlimmer, schrecklich.
Steinbrück: Hält sich bei Ihnen aber ziemlich in Grenzen.
Schmidt: Ich gebe Ihnen recht, Peer, was das Umfeld der veröffentlichten Meinung angeht. Die war wie besoffen. Die sogenannten Unternehmensverbände, insbesondere die Bankenverbände, alle haben an eine möglichst unregulierte Wirtschaft geglaubt. Ich nehme mich persönlich aus. Ich habe in den neunziger Jahren in vielen Reden Regulierung verlangt und habe das Schlagwort geprägt vom Raubtierkapitalismus, der sich hier ausbreitet. Das war in der Mitte der neunziger Jahre.
Steinbrück: Was den damaligen Paradigmenwechsel angeht, will ich noch einen Punkt hinzufügen, der mir wichtig erscheint. Die Art und Weise, wie sich das entwickelte, hat in meinen Augen auch etwas mit dem
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