Zug um Zug
Wegfall der Bipolarität zwischen Realsozialismus und Marktwirtschaft zu tun. Solange es dieses sozialistische System in der Nachbarschaft noch gab, existierte jedenfalls immer ein Gegenentwurf, der auch einen disziplinierenden Einfluss auf unser System ausübte. Das Ergebnis war ein gezähmter Kapitalismus im Sinne der sozialen Marktwirtschaft. Und ab 1990/91 gab es diesen Gegenentwurf nicht mehr. Daraus entwickelte sich dann in den neunziger Jahren unter den Stichworten Deregulierung, schneller Gewinn, Shareholder Value, Orientierung auf Quartalsbilanzen und hohe Margen eine ungeheure Dynamik. Selbstkritisch aus Sicht der SPD gesprochen: Ja, wir haben uns dem teilweise ergeben, obwohl das, was Hans Eichel dann gemacht hat, immer noch besser war als das, was sich gleichzeitig bei unseren Nachbarn in Mailand, in London oder in Paris tat. Die damalige FDP hat Hans Eichel doch nicht deshalb kritisiert, weil er nicht rigide genug war, sondern weil er aus ihrer Sicht in der Deregulierung nicht weit genug ging. Diese Pharisäer.
Schmidt: Warum hat die SPD nicht reagiert oder nicht stärker reagiert? Die Antwort ist ganz einfach: Weil sie nicht verstanden hat, was passierte. Es ist eine der Schwächen der deutschen Sozialdemokratie, dass sie immer nur ausnahmsweise Personal hervorgebracht hat, das einen ausreichenden Durchguck durch die wirtschaftlichen Zusammenhänge ins Amt mitbrachte. Darüber sprachen wir schon.
Ich will noch mal nach den Gehältern von Bankmanagern fragen. Sie haben mir vorhin keine mich befriedigende Antwort gegeben. Sie haben selber von dem Vertrauensverlust gesprochen, den die Banker im Herbst 2008 erlitten haben. Gleichwohl sind diese Leute an der Spitze der Banken nach wie vor mit Einkommen gesegnet, die alle normalen menschlichen Vorstellungen weit übertreffen – das löst Ärger aus, Neid, Empörung. Auf der anderen Seite sind wir immer noch dabei, die Banken zu retten. Der Streit um die Abwendung einer Zahlungsunfähigkeit des Staates Griechenland ist ja zugleich ein verdeckter Streit um die Rettung von Gläubigern, die in Wirklichkeit Banken sind und Versicherungen und dergleichen, zum Beispiel Hypo Real Estate in München. Das Versäumnis liegt darin, dass man bei der Gelegenheit diesen Raubrittern, die sich Bankvorstände und Aufsichtsräte und Berater und Händler nennen mit phantastischen Bonifikationen – dass man denen alles gelassen hat.
Steinbrück: Zu solchen Einschnitten war die Staatengemeinschaft nicht bereit. Und es hätte keinen Sinn gemacht, zu versuchen, das isoliert in Deutschland durch irgendwelche Regularien in den Griff zu kriegen, weil es auf dem Markt für Bankmanager zugeht wie auf dem internationalen Fußballspielermarkt; dann wechseln sie eben von Bayern München zum FC Chelsea oder zu Real Madrid. Ich kann mich erinnern an eine Debatte, die es im amerikanischen Finanzministerium gab nach dem Zusammenbruch von Lehman. Der damalige Finanzminister Hank Paulson hatte die Finanzminister und Notenbankgouverneure der G7 eingeladen und dazu die Herzöge der Wall Street. Das war Anfang Oktober 2008. Zu dem Zeitpunkt waren die völlig konsterniert und entwickelten plötzlich ordnungspolitische Vorstellungen, die bis hin zur Verstaatlichung von Banken gingen. Wir guckten uns alle über den Tisch an, ziemlich verwundert, und gingen aus diesem Essen in der ehrwürdigen US-Treasury – also dem Finanzministerium der USA – heraus in dem Bewusstsein, dass die Krise bei den Bankmanagern schwerste Trefferwirkung erzielt hatte. Sie waren offensichtlich bereit, all ihre bis dahin geltenden Vorstellungen über Bord zu werfen. Es dauerte fünf Monate – und sie waren auf demselben Trip wie vorher. Es war wie beim Monopoly-Spiel: Gehe zurück auf »Los«, ziehe keine 4000 Mark ein – und dann rasen sie so schnell wie möglich von der Badstraße wieder auf die Schlossallee.
Schmidt: Warum ist das eigentlich nie parlamentarisch untersucht und aufgearbeitet worden?
Steinbrück: Ja, das ist in Deutschland ein politisches Versäumnis, das auch ich mir anrechnen lassen muss. Ich hätte meine eigene Fraktion zu einer solchen Initiative ermuntern sollen. Was die Amerikaner besser gemacht haben, ist, dass der Kongress eine Untersuchungskommission eingesetzt hat mit öffentlichen Befragungen, die sehr scharf gewesen sind. Irgendwann ging mir durch den Kopf, warum wir das nicht auch in Deutschland gemacht haben – eine Untersuchungskommission, eingesetzt durch den
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