Zug um Zug
laufen – in den Zeiten von Friedel Neuber.
Schmidt: Vorsicht, Vorsicht! Schon in den siebziger Jahren, zu Zeiten von Ludwig Poullain, hatte ich die nordrhein-westfälische Landesbank oder spätere WestLB unter Verdacht und habe sie sorgfältig beobachtet; ich war überhaupt nicht überzeugt von der Bonität der Personen. Und keiner hat gesehen, was die für seltsame Produkte gekauft haben.
Steinbrück: Das war später, tut mir leid! Die Infektion und die Fehlorientierungen traten erst ab 2005 ein, als die Staatsgarantien entfielen. Weshalb die damalige CDU-Landesregierung lieber nicht mit Steinen schmeißen sollte. Erst da haben sich Landesbanken wie die WestLB in Ermangelung eines Geschäftsmodells zunehmend engagiert auf Feldern, von denen sie keine blasse Ahnung hatten, und zum Beispiel in riesige Säcke gebündelter Forderungen investiert, in denen Dynamitstangen lagen.
Schmidt: Unter dem wunderschönen Stichwort »Kreditersatzgeschäft«. Sie wussten nicht, wohin mit ihrem Geld. Das Normale wäre gewesen, sie hätten Kredite gegeben an mittelständische und größere Unternehmen in NRW. Stattdessen ersetzten sie das Kreditgeschäft durch ein Ersatzgeschäft. Das Ersatzgeschäft bestand in dem Erwerb undurchsichtiger amerikanischer Papiere.
Steinbrück: In der Annahme, dort mehr Geld zu verdienen, was bis zu einem gewissen Zeitpunkt ja auch gelang. Damals kannten Sie und ich solche Papiere gar nicht. Die Experten hielten sie für vollkommen sicher. Was für ein Trugschluss! Aber damit sind wir bei der zentralen Frage: Schaffen die Banken überhaupt noch reale Werte? Oder sind sie in ihrem Eigenhandel, im Derivate-Handel nur noch mit sich selber beschäftigt – mit hohen Risiken?
Schmidt: Die Banken haben niemals eigene Werte geschaffen, die haben niemals einen Sack Weizen oder einen Bleistiftanspitzer produziert, ein Auto oder ein Flugzeug. Sie haben niemals reale Werte geschaffen, sie haben aber ermöglicht, dass andere reale Werte geschaffen haben, das heißt, sie haben einen notwendigen Hilfsdienst geleistet.
Steinbrück: Ich will noch mal zurückkommen auf die Situation im Herbst 2008, wo etwas passierte, was mich sehr geprägt hat. Damals hatten die Banken in Deutschland und Europa die wichtigste Kategorie, die es bei Geldgeschäften gibt, aufgebraucht, und diese Kategorie lautet Vertrauen. Sie hatten kein Vertrauen mehr untereinander, der Interbankenmarkt brach zusammen. Und dann passierte etwas, was unvorstellbar war in den Vorstellungen der Bankvorstände: Sie mussten sich Vertrauen leihen, und zwar von Leuten, mit denen sie niemals etwas zu tun haben wollten, den Politikern, dem Staat. Bis dahin waren Politiker in den Augen der Banker ineffizient; die hinkten immer hinterher, verstanden nicht viel, waren auch gelegentlich ziemlich doof, jedenfalls nicht so begriffsschnell. Und dann trat in diesem Herbst 2008 eine Situation ein, in der die Bankvorstände plötzlich angewiesen waren auf die Politik, die ihnen buchstäblich den Hintern rettete.
Sie haben am Anfang unseres Gesprächs mit Recht die Frage gestellt, Helmut, ob dies damals nicht die Situation gewesen wäre, auch über Deutschland hinaus die Spielregeln auf diesen Märkten zu ändern. Heute muss ich zugeben: Wir haben sie nicht geändert. Es ist gescheitert an divergierenden Interessen in der Gruppe der G20-Länder, zum Beispiel an den Interessenunterschieden zwischen der Londoner City und der Wall Street gegenüber anderen Finanzplätzen. Gescheitert ist es aber auch daran, dass viele Länder, die mit am Tisch saßen – wie zum Beispiel China, Australien oder Kanada –, sagten, wir sind für die Finanzmarktkrise nicht verantwortlich, sondern es sind im Wesentlichen die USA und die Europäer, die hier zusammengewirkt haben. Warum sollen wir Begrenzungen oder Einschränkungen in Kauf nehmen für etwas, was andere zu verantworten haben?
Schmidt: Das entschuldigt immer noch nicht das Nichthandeln der Regierungen der Eurozone. Die hätten gemeinsam handeln müssen. Haben sie nicht getan – nicht zuletzt wegen des Konstruktionsfehlers der Maastrichter Konferenz 1991/92. Die schuf einerseits eine Europäische Zentralbank, die unabhängiger ist als jede Zentralbank der Welt heutzutage, was nützlich und vorteilhaft ist. Sie braucht auch keinem Parlament Rede und Antwort zu stehen. Das gibt es auf der ganzen Welt nicht ein zweites Mal.
Es gibt andererseits aber kein Organ, das verantwortlich wäre dafür,
Weitere Kostenlose Bücher