Zug um Zug
Cent. Und anschließend sich als eiserne Kanzlerin feiern ließ, namentlich von einem Boulevardblatt, aber zu dem Zeitpunkt natürlich längst grundsätzlich eine Hilfsleistung zugesagt hatte. Dann hat sie gesagt, dass es eine ständige Abschirmung gebe, die aber nie in Anspruch genommen werde. Wenige Wochen später wurde der Schirm in Anspruch genommen. Dann hat sie gesagt, der ist aber zeitlich begrenzt. Wenige Wochen später wurde über einen permanenten Rettungsschirm ESM gesprochen. Dann hat sie gesagt, wir wollen automatisierte Sanktionsmechanismen zur Korrektur der Fehler, die gemacht worden sind; die gab sie dann beim Spaziergang mit Sarkozy in Deauville wieder auf. Und so ist eine lange Kette entstanden, wo sie nicht nur verwirrende, sondern auch definitiv falsche Signale an die Partner und an die Märkte gesandt hat. Das deutsche Gewicht in Brüssel, die Reputation Deutschlands in den europäischen Gremien haben dabei deutlich abgenommen, und das ist ein Versagen dieser Bundesregierung.
Schmidt: Wann hat das begonnen? Wenn ich mich recht erinnere, kamen Sie in der Zeit der großen Koalition ganz gut mit Frau Merkel zurecht.
Steinbrück: Nun, da sage ich mit einem gewissen Selbstbewusstsein, dass wir damals gut aufgestellt waren, insbesondere auch während der erfolgreichen deutschen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007. Frau Merkel und ich haben den Fehler von 2003, mit einer qualifizierten Minderheit, nämlich zusammen mit Frankreich, den Stabilitäts- und Wachstumspakt auszuhebeln, sehr schnell korrigiert. Wir haben dem damaligen Währungskommissar Joaquín Almunia – übrigens bei einem sehr diskreten Treffen auf dem militärischen Teil des Tegeler Flughafens – noch während der Koalitionsverhandlungen Anfang November 2005 signalisiert: Deutschland wird vorbildhaft die Auflagen aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt erfüllen, gerade weil wir wissen, welche Bedeutung dies für die Glaubwürdigkeit des Stabilitäts- und Wachstumspaktes hat. Damals drohte ein neues Bestrafungsverfahren, weil wir mit der Neuverschuldung über drei Prozent lagen. Wir sind da sehr schnell erfolgreich wieder rausgekommen und 2008 sogar mit einer schwarzen Null des jährlichen Haushaltsdefizits zu einem Klassenprimus geworden. Was ich sagen will: In meiner Zeit als Finanzminister stand außer Zweifel, dass Deutschland seinen Beitrag zur Glaubwürdigkeit des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes leisten würde.
Schmidt: Das Gefühl, dass man sich auf die Deutschen verlassen kann, ist nicht nur in Brüssel, sondern auch in Paris, in fast allen europäischen Hauptstädten verlorengegangen, und zwar innerhalb ganz kurzer Zeit.
Steinbrück: Ich glaube im Übrigen, dass durch das wankelmütige Vorgehen der deutschen Bundesregierung die ganze Chose am Ende sehr viel teurer werden wird. Ich sehe eine gewisse Analogie. Am 5. Oktober 2008 sind die Bundeskanzlerin und ich kurz vor 15 Uhr, wahrscheinlich kurz vor einem Nachmittagsfilm mit Heinz Rühmann oder Liselotte Pulver, vor die deutschen Fernsehkameras gegangen und haben gesagt: Die deutschen Spareinlagen sind sicher. Das war eine Art Patronatserklärung, um die deutschen Bürger nicht weiter zu verunsichern. Wir wollten verhindern, dass sie am Montag zu ihrer Bank oder Sparkasse laufen, ihr Geld abheben und unter die Matratze oder in den Sparstrumpf legen.
Eine ähnliche Aktion hätte ich mir gewünscht in den Monaten März/April 2010. Da hätten die wichtigsten Staats- und Regierungschefs der europäischen Währungsunion vor die Kamera gehen und sagen müssen: Wir begründen ein europäisches Instrument, das europäisch garantiert wird, um diejenigen Länder zu unterstützen, die sich erkennbar nur noch schwer oder gar nicht auf den internationalen Finanzmärkten refinanzieren können. Das wären entweder europäisch garantierte Schuldverschreibungen gewesen, vielleicht Eurobonds, vielleicht andere Lösungen.
Stattdessen hat man damals die Finanzmärkte eingeladen, aktiv zu werden. Und die tun, was sie immer tun, wenn es eine unsichere Situation gibt: Sie testen, ob sie durch widersprüchliche Aussagen, durch Inkompatibilität nicht irgendwo eine Lücke finden, in die sie hineinstoßen können, um Marge zu machen. Dass die Banken wieder so ins Geschäft kamen, ist durch das Versagen der europäischen Politik damals mit verursacht worden. Hätte man frühzeitig eine Patronatserklärung für die Refinanzierung schwächerer Länder
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