Zug um Zug
Beschäftigungsmöglichkeiten zu verbessern.
Schmidt: Peer, ich schlage vor, dass wir dieses hochkomplizierte Terrain im Interesse unserer Leser verlassen.
Was ist zu tun?
Steinbrück: Die Fragen aus dem Publikum, die ich nach Ausbruch der Finanzkrise im Sommer 2008 gehört habe, gingen mehrheitlich in eine einzige Richtung: Die Politik hat 500 Milliarden für die Banken – 500 Milliarden war das Volumen des Finanzmarkt-Stabilisierungsgesetzes –, aber sie hat kein Geld für die Renovierung der maroden Schule meiner Kinder oder für die Umgehungsstraße, auf die wir aus Lärmschutzgründen seit Jahren warten. Sie streitet fast ein halbes Jahr lang über die Erhöhung von Hartz-IV-Regelsätzen um fünf oder sechs Euro, aber den Banken schiebt sie mal eben 500 Milliarden über den Tisch. Es war nicht leicht, auf diese Fragen eine Antwort zu geben, ohne dass die Leute schreiend rausliefen.
Schmidt: Was war denn Ihre Antwort, Peer?
Steinbrück: Die Antwort lautete: Alle Rentner und Rentnerinnen, alle Sparer, alle Kommunalpolitiker, die einen Kassenkredit brauchen, jeder Gewerbetreibende und Handwerksmeister, der einen Betriebsmittelkredit braucht, jeder Arbeitnehmer, jeder Gewerkschafter und jeder Manager, deren Unternehmen Investitionen fremdfinanzieren – sie alle sind darauf angewiesen, dass das Arteriensystem von Wirtschaft und Gesellschaft mit Blut, will sagen: mit Geld und Kapital versorgt wird und nicht kollabiert. Das ist der Grund, warum wir die Banken gestützt haben. Nicht aus irgendeiner devoten Haltung gegenüber Bankmanagern. Mein Respekt gegenüber ihnen entspricht inzwischen ziemlich genau dem Respekt, den sie den Politikern entgegenbringen, und der ist recht gering. Es ging darum, das Finanzsystem funktionsfähig zu halten, damit die Banken ihren Pflichten als Finanzdienstleister nachkommen konnten. Das ist das entscheidende Stichwort: Finanzdienstleistungen zu erbringen für eine Volkswirtschaft und für eine Gesellschaft. Und das drohte zusammenzubrechen.
Schmidt: Die Fragen aus dem Publikum sind nur zu verständlich. Und Ihre Antwort ist in Ordnung. Das Problem ist damit aber nicht gelöst. Es besteht nämlich darin, dass die Banken, statt sich auf ihre Funktion als Finanzdienstleister zu konzentrieren, in Wirklichkeit zu einem Selbstzweck geworden sind.
Steinbrück: Wir sprachen im vorigen Kapitel ja schon über den Eigenhandel der Banken, das Spiel mit Wetten auf zukünftige Preise oder Kurse, das Investmentbanking. Ich war in den vergangen Jahren mehrfach in Frankfurt eingeladen, um bei der Deutschen Börse, bei der Deutschen Bank und bei anderen Instituten Reden zu halten, und da habe ich diesen Bankmanagern unverblümt meinen Eindruck vermittelt, dass das Wirtschaftssystem, das sie trägt, durch Übertreibungen und Exzesse nicht nur ökonomischen Krisen ausgesetzt sei. Wir hätten es auch mit einer moralischen Krise zu tun. Ein Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, das derartig materialistisch orientiert sei, einer Bereicherungsmentalität fröne und alle Bereiche der Gesellschaft dem Wettbewerbsprinzip anheimstellen wolle, verliere seine Legitimation. In meinen Augen sei unser Ordnungssystem im Augenblick nicht gefährdet durch irgendwelche Verrückten, die vom linken Rand oder vom rechten Rand kommen, sondern von den Protagonisten des Systems selbst. Sie würden möglicherweise die Achse dieser Republik versetzen, weil sie Maß und Mitte verloren und ihre Vorbildfunktion vergessen hätten.
Die groteske Erfahrung ist gewesen, dass ich dafür Beifall bekam, sodass ich mich gelegentlich nach den masochistischen Qualitäten meiner Zuhörer gefragt habe. Allerdings folgten sie gleichzeitig dem Prinzip: zum einen Ohr rein, zum andern Ohr raus. Hier muss die Politik ansetzen: dass diese »Eliten« sich selber den Ast absägen könnten, auf dem sie sitzen, falls sie nicht die Balance halten und auch ihrer Verpflichtung auf das Allgemeinwohl und auf sozialen Ausgleich gerecht werden. Hier muss es in meinen Augen eine sehr viel stärkere, eine fordernde Ansprache geben.
Schmidt: Ich sehe bei diesem Thema keinen Anlass zu irgendwelchen kontroversen Diskussionen zwischen uns.
Steinbrück: Sie selber appellieren ja seit vielen Jahren in Büchern und Artikeln an die öffentliche Moral. Aber wie können wir die Eliten dieser Gesellschaft an ihre Gemeinwohlorientierung erinnern und mahnen? Das kann man ja nicht durch Resolutionen herbeizaubern oder über
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