Zug um Zug
Deutschland die Krise besser überstanden hat als andere, zählt auch, dass die Politik manchmal weniger falsch macht, als man ihr unterstellt. Ich denke an die Unternehmenssteuerpolitik der rot-grünen Bundesregierung und die Reformagenda 2010 von Gerd Schröder, dann an die Bankenstabilisierung im Herbst 2008 und die Konjunkturprogramme vom November 2008 und Januar 2009, vor allem an das kommunale Investitionsprogramm und das Kurzarbeitergeld auf Vorschlaf von Olaf Scholz, auch an die Abwrackprämie, die keineswegs irrelevant gewesen ist, weil sie sich auf eine Kernindustrie mit einem Kreis von mittelständischen Zulieferern und Händlern erstreckte. All diese Programme trugen übrigens eine starke sozialdemokratische Handschrift. Und sie haben dazu beigetragen, dass wir glimpflicher aus dieser Krise gekommen sind als viele andere Länder.
Schmidt: Jedenfalls hat der Finanzdienstleistungssektor zu diesem im internationalen Vergleich sehr guten Abschneiden der deutschen Volkswirtschaft nichts beigetragen.
Steinbrück: Vorsicht bei den Sparkassen und Genossenschaftsbanken!
Schmidt: Sparkassen – das habe ich vorhin dazwischengerufen – unterstreiche ich, ebenso die Genossenschafts- und Volksbanken. Aber die übrigen Banken nicht. – Unter den Gründen für das relativ gute Abschneiden der deutschen Volkswirtschaft, die Sie aufgeführt haben zusätzlich zu denen, die ich aufgeführt hatte, nennen Sie auch das Zurückbleiben der deutschen Lohnstückkosten im internationalen Vergleich. Da liegt ein doppeltes Problem. Einerseits sind die Arbeitnehmer der gewerblichen Wirtschaft bei uns durch die letzten zehn Jahre relativ schlecht bedient worden, man könnte beinahe sagen, ungerecht. Das ist das eine Problem. Da ist was nachzuholen. Das andere Problem ist, dass die relativ niedrigen deutschen Lohnstückkosten – die im Übrigen nicht nur auf die nominellen Löhne zurückzuführen sind, sondern auch auf die Automatisierung unserer Produktion und die Fähigkeit unserer mittelständischen Ingenieure – zu einem enormen deutschen Außenhandelsüberschuss geführt haben.
Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss ist, bezogen auf das eigene Sozialprodukt, genauso hoch wie derjenige der Chinesen. Da wir keine eigene Währung zu verteidigen haben, geht das unter in dem Bild, das die Welt von uns hat; nicht aber geht es unter in dem Bewusstsein der Franzosen, der Holländer und anderer unserer Nachbarn. Auf die Dauer, das muss eine deutsche Regierung wissen, darf sie einen solchen Außenhandelsbilanzüberschuss nicht verewigen.
Steinbrück: Gegensteuern heißt, dass man erkennbar die Inlandsnachfrage stärken muss und mit der Inlandsnachfrage natürlich auch die Importe aus Ländern, die darüber dann ihre Leistungsbilanzdefizite uns gegenüber abbauen. Aber da sind wir sehr schnell bei Verteilungsfragen!
Schmidt: Und da sind wir natürlich auch bei der Stärkung der Inlandsnachfrage durch Erhöhung der eigenen Löhne.
Steinbrück: Ja, das meine ich. Wenn ich von Verteilungsfragen rede, sehe ich lediglich den größeren Zusammenhang. Für viele arbeitende Menschen bewegt sich das Realeinkommen heute fast auf dem Stand wie nach der Wiedervereinigung. Gleichzeitig ist die Einkommens- und Vermögensschere in Deutschland deutlich auseinandergegangen. Es gibt den sogenannten Gini-Faktor, der diese Einkommens- und Vermögensspreizung in Deutschland beschreibt und der erkennen lässt, dass wir es mit einer zunehmenden Verteilungsungerechtigkeit zu tun haben.
Aber noch mal zur Inlandsnachfrage und zur Frage, wie sich die Löhne entwickeln sollen. Ich bin dafür, dass die Löhne mindestens die Produktivität und einen Inflationsausgleich voll widerspiegeln müssen. Damit sind wir bei einem ganz heißen Thema, nämlich bei Mindestlöhnen. Mindestlöhne würden die Massenkaufkraft stärken, weil die Sparquote der Menschen, die Mindestlöhne beziehen, null ist. Das Thema Lohnentwicklung einschließlich der Mindestlöhne wird eine zunehmende Rolle spielen bei der Frage: Wie entwickelt sich der private Konsum?
Einen Punkt will ich hinzufügen: Die Inlandsnachfrage wird auch durch die eigenen Ausrüstungsinvestitionen geprägt. Wir haben in den letzten Jahren enorm viel Kapital ins Ausland transferiert, das in meinen Augen – in Teilen jedenfalls – besser angelegt worden wäre in Ausrüstungsinvestitionen in Deutschland, auch um den Kapitalstock in Deutschland und damit hochqualifizierte
Weitere Kostenlose Bücher