Zugriff
als » Schreibtischtäter« schließlich nicht jeden Tag geboten. Und weil es sich um hohe Tiere handelte, hielt niemand sie zurück. Falls das Schule machte, dachte ich mir, würden wir uns bald mit einem ausgemachten Einsatztourismus konfrontiert sehen.
Dann wurde es ernst. Nach letzten Informationen musste der Geiselnehmer in Kürze die Bank verlassen. Die Schützen legten bereits die Finger an den Abzug ihrer Gewehre, während ich aus einer Dachluke mit einem Fernglas den Bankeingang beobachtete. Plötzlich öffnete sich die Tür, und der Kapuzenräuber trat heraus, die Geldtüte im Arm, die Pistole in der rechten Hand. Wo blieb die Geisel? Ohne sich umzudrehen, marschierte der Mann auf den Audi zu, öffnete den Kofferraum, um nach Peilsendern zu suchen. » Finaler Rettungsschuss wird zurückgenommen! Ich wiederhole, finaler Rettungsschuss wird zurückgenommen«, wies ich meine Schützen schnell an, nachdem die Geisel weiterhin nicht auftauchte.
Es herrschte Totenstille, die lediglich vom leichten Klicken des sich schließenden Kofferraums durchbrochen wurde. Als der Kapuzenräuber zur Fahrerseite ging, übergab ich per Funk an die Kollegen, die für die Koordination des Zugriffs zuständig waren. Unser Täter stieg in den Audi, schaltete das Licht ein und dann … schleuderte eine laute Detonation den Mann seitlich aus dem Fahrzeug. Unsere Spezialisten hatten ganze Arbeit geleistet.
Die Zugriffskräfte brauchten bloß noch nach vorne zu stürmen und den Kapuzenmann festzunehmen. Weiß wie die Wand und sichtlich unter Schock ließ er sich widerstandslos die Handschellen anlegen. Er schien überhaupt nicht zu realisieren, was da passiert war. Später sagte er aus, er habe geglaubt, die Polizisten seien vom Himmel gefallen. Am Boden flatterte eine halbe Million herum, die Pistole lag noch auf dem Beifahrersitz.
Als ich nach unten rannte, traute ich meinen Augen nicht. Da waren sie schon wieder vor Ort, die Herren Polizeidirektoren, und schauten neugierig zu. Mal ganz davon abgesehen, dass es nicht ungefährlich war – immerhin hatte der Bankräuber angeblich Strengstoff dabei –, empfand ich diese Sensationslust als unangemessen. Schlimm genug, dass die Presse sich so verhielt! Auch andere äußerten ihr Missfallen, darunter der zwischenzeitlich eingetroffene Polizeipräsident, der den Zugriff von der Gaststätte aus beobachtete: » Wirklich unglaublich«, sagte er bloß.
Und die Geisel? Tobias K. wurde gefesselt im Tresorraum aufgefunden, vor ihm der angebliche Sprengkoffer. Seine Erleichterung nach zehn Stunden Geiselhaft lasse sich nicht in Worte fassen, erzählten später die Kollegen, die ihn befreiten. Alle bewunderten seine Geistesgegenwart und Nervenstärke, die er die ganze Zeit über bewiesen hatte. Bis zum Schluss, als der Kapuzenräuber ihm androhte, die Bombe im Koffer mittels Handy zu aktivieren, falls ihm nicht mindestens 30 Minuten Vorsprung bei seiner Flucht eingeräumt würden. Allerdings gaben die Experten des Landeskriminalamts in dieser Hinsicht schnell Entwarnung. Im Koffer befand sich lediglich eine selbst gebaute Bombenattrappe, und auch die Pistole war nicht echt, obwohl sie so aussah.
Was hatte den Täter, einen 39-jährigen ledigen Werkzeugmacher, zu dieser Wahnsinnstat getrieben? Es waren die immer gleichen Komponenten: Arbeitslosigkeit, hohe Schulden, Unzufriedenheit mit dem Leben. Schon einmal hatte er versucht, eine Bank auszurauben, konnte aber damals unerkannt entkommen. Offensichtlich hoffte er erneut auf solches Glück. Jedenfalls trug er unter seinem Anzug eine komplett andere Garnitur Kleidung, um etwaige Verfolger von sich abzulenken.
Wie immer kehrten wir anschließend auf die Dienststelle zurück, um den Einsatz, der zum Glück keine Opfer forderte, zu analysieren, und wurden prompt wieder an die zugemauerte Tür erinnert, die am Morgen für schlechte Laune gesorgt hatte. Nach mehr als 15 Jahren kann ich es ja verraten: Es waren ein paar junge Männer, die ihrem Gruppenführer einen Denkzettel verpassen wollten. Weil sie offenbar nicht immer einverstanden waren mit seinen Anordnungen. Sicher nicht in Ordnung, aber Schwamm drüber.
Es kommt nicht gerade selten vor, dass Geiselnahmen einen persönlichen Hintergrund haben. Verschmähte Liebe, Trennung, das Gefühl der Ausgrenzung. Jugendliche sind davon nicht ausgenommen. Damals wie heute. Man muss nur an die schrecklichen Amokläufe in Schulen denken, die es in den letzten Jahren auch hierzulande gegeben hat. Mit
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