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Zugzwang

Zugzwang

Titel: Zugzwang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erwin Kohl
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völlig überrascht. Er war immer im Glauben, sie war glücklich an seiner Seite.
    »Janine, lass uns in Ruhe darüber reden. Ich werde mich ändern, eine andere Stelle annehmen und viel mehr Zeit für dich und die Kinder haben. Bitte, Janine!«
    Wieder hörte er, wie sie schwerfällig ausatmete.
    »Okay, ich bin auch nicht gut drauf im Moment. Das ist alles zu viel für mich. Komm doch morgen Abend vorbei und wir reden darüber, in Ordnung?«
    »Ja. Ja, in Ordnung.«
    Ohne zu überlegen antwortete er ihr und sie beendeten das Gespräch. Ihm kam es so vor, als ob jemand den Boden unter seinen Füßen wegzöge. Warum hatte sie nie darüber gesprochen, ihm eine Chance gegeben, etwas zu ändern? Oder hatte sie es? Die Zweifel fühlten sich wie Nadelstiche an. Es begann zu regnen. Joshua lief ziellos durch die Häuserschluchten der Innenstadt. Er fühlte sich einsam und ausgesetzt. Insgeheim hoffte er, dass Groding doch der Täter war und er Zeit bekommen würde. Zeit, die er dringend brauchte, um seine Ehe zu retten. Aber das würde nur eine vorübergehende, oberflächliche Idylle bedeuten. In diesem Fall bräuchte er Winnie die nächsten Wochen nicht um eine Beurteilung zu bitten. Es war ein Teufelskreis. Der Regen drang in sein T-Shirt, er zog die Lederjacke zu. Ein älterer Mann wankte aus einer Eckkneipe und rempelte ihn an. Joshua ging in die Kneipe, setzte sich an den Tresen und bestellte ein großes Bier. Er wollte vergessen, zumindest verdrängen.
    Neben ihm saß ein dunkelhaariger Mann mit mächtigem Vollbart. Joshua schätzte sein Alter auf Mitte dreißig. Er schien sich mit sich selber zu unterhalten. Als er Joshua mit seinen kleinen tief zurückliegenden braunen Augen ansah, stellte er sich vor.
    »Gestatten. Georg, Philosophiestudent.«
    Joshua musste unweigerlich lachen. So was in der Art hatte er sich gedacht. Er gab ihm seine Hand und stellte sich mit Vornamen vor.
    »Bist du auch ein Opfer deines Bewusstseins?« Georg wartete die Antwort gar nicht erst ab.
    »Natürlich bist du das. Wir sind alle Gefangene unseres Bewusstseins.«
    Als der Wirt ihn fragend ansah, bestellte Joshua sich ein großes Bier.
    »Hast du jemals das siebte Buch Platos gelesen?«
    Joshua musste erneut lachen. Sah er wirklich so aus, als würde er antike Bücher lesen?
    »In letzter Zeit nicht, warum?«
    »Kennst du etwa auch nicht das Höhlengleichnis?«
    Georg sah ihn mit einem vorwurfsvollen Blick an, der groteskerweise äußerst echt wirkte.
    »Macht nichts. Ich kann es dir ja erklären.«
    Joshua mochte solche ungebetenen Gespräche für gewöhnlich nicht. Dieses Mal war er fast dankbar für die Zerstreuung. Sein Gesprächspartner drehte auffällig an seinem leeren Bierglas. Joshua verstand und bestellte ihm ein Bier. Es schien der Preis für eine Lektion in Philosophie zu sein.
    »Also«, begann Georg langatmig, »beim Höhlengleichnis geht es darum, dass eine Gruppe von Menschen in einer Höhle sitzt. Sie sind alle gefesselt und können weder ihre Glieder noch ihre Köpfe bewegen. Ihr Blick ist starr nach oben gerichtet auf ein riesiges Loch, das zur Außenwelt führt.«
    Der Wirt brachte ihm schmunzelnd ein Bier und machte den Strich ungefragt auf Joshuas Deckel.
    »Na Plato, hast du wieder ein Opfer gefunden?«
    Georg winkte genervt ab.
    »Jetzt kommt es: Zwischen ihnen und der Außenwelt lodert ein großes Feuer. Über der Öffnung laufen ständig Menschen vorbei und Geräte werden vorbeigetragen. Das Einzige, was die Menschen in der Höhle davon sehen können, sind Schatten. Sie sehen ihr Leben lang nur Schatten von der Außenwelt«, Georg nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Glas. »Mit der Zeit kennen sie die genauen Abläufe, wissen genau, wann welcher Schatten auftaucht und spielen mit diesem Wissen.«
    Georg setzte das Glas erneut an und trank es leer. Wieder sah er Joshua an. Der Wirt kannte seinen Gast anscheinend ganz genau und stellte unverzüglich ein frisches Bier vor ihn auf die Theke. Joshua überschlug kurz, dass ihm je vier Sätze dieses Referates ein Bier kosteten. Es war ihm egal.
    »Und jetzt kommt’s«, schon wieder, dachte Joshua, »eines Tages gelingt einem von ihnen die Flucht nach draußen. Plötzlich kann er den Himmel sehen. Er sieht den Mond und die Sterne und er stellt fest, dass die Schatten Gesichter haben. Als man ihn entdeckt, sperrt man ihn wieder in die Höhle.«
    Wieder trank er das Glas halb leer.
    »Nun erzählt er den anderen von seinem Gesehenen. Was glaubst du, wie haben sie

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