Zugzwang
konnte seinen Ausführungen kaum folgen.
»Warum sollte sich ein Crash rechtzeitig ankündigen? Dann wäre es ja kein Crash mehr, oder?«
»Könnte man meinen. Aber nimm doch mal zum Beispiel den letzten Golfkrieg. Kam der völlig überraschend? Nein, kam er nicht. Trotzdem haben bis kurz vorher alle an ihren Aktien festgehalten. Ist ja auch nicht so verkehrt, denn irgendwann erreichen sie ihren Kurs wieder. Aber was machen die Leute? Kaum fällt die erste Bombe, kommt es zu Panikverkäufen und eine Kettenreaktion wird in Gang gesetzt. Stopp-Loss-Order greifen automatisch und beschleunigen die ganze Geschichte.«
Daniel schien jetzt richtig Spaß an der Sache zu bekommen.
»Ich habe zum Beispiel einen Monat vor dem ersten Golfkrieg alle meine Aktien verkauft. Zusätzlich noch das Erbe meiner Eltern auszahlen lassen und mitten in diesem Krieg eingekauft. Von dem Gewinn stammt diese schöne Wohnung hier.«
Joshua lehnte am Schreibtisch und wusste nicht mehr, was er sagen sollte. Das hörte sich alles so einfach an. So als ob jeder auf diese Art reich werden könnte. Daniel holte ihm noch eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und sie setzten sich ins Wohnzimmer. Sie philosophierten noch über die Weltwirtschaft und die Politik. Daniel meinte, selbst Osama bin Laden hätte wirtschaftliche Hintergründe gehabt haben können. Immerhin war er ja Milliardär und da konnte es sich schon mal lohnen, die Kurse absehbar in den Keller zu treiben. Joshua kam das alles so unwirklich vor. Als wäre er in eine andere Welt eingetaucht.
»Warum kommst du eigentlich mit so einem klapprigen Oldtimer zum Dienst, statt mit einem Porsche?«
Daniel schien auf diese Frage gewartet zu haben. Ein stolzes Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit.
»Understatement, Joshua. Ja, so könnte man es nennen. Was soll Winnie denn denken, wenn ich einen Porsche neben seinen Opel abstelle? Halte ich sowieso nichts von. Von Porsche meine ich, bei Winnie bin ich mir noch nicht so sicher. Außerdem habe ich unten in der Tiefgarage noch einen Jag stehen, für Sonntags.«
»Du hast was?«
»Einen Jaguar, Zwölfzylinder. Britischgrün. Kann ich dir mal zeigen.«
Joshua nutzte die Gelegenheit. Er wollte noch irgendwo was trinken gehen, seine Frau anrufen und einen Spaziergang machen. Daniel gab ihm einen Zweitschlüssel und begleitete ihn nach unten. Beim Anblick des Jaguars bekam Joshua feuchte Augen. Er beneidete seinen Kollegen darum. Daniel wedelte mit einem Schlüsselbund vor seinen Augen. Joshua überlegte kurz. Eine innere Stimme sagte ihm, es zu lassen. Er gehorchte ihr.
»Danke, aber weißt du, mein Opa hat immer gesagt: Gott schütze uns vor Sturm und Wind und Autos, die aus England sind.«
Als er in die gekränkten Augen des Kollegen sah, haute er ihm auf die Schulter und lachte.
»Ich bin jetzt schon so neidisch auf dich, wenn ich noch deinen Jaguar fahre, spreche ich kein Wort mehr mit dir.«
Joshua tippte die Nummer seiner Frau ein. Mit einem Ohr am Handy lief er ziellos durch die Innenstadt. Es meldete sich niemand. Sollte er sich doch den Jaguar leihen und zu seiner Familie fahren? Mitten in seine Überlegungen meldete sich seine Frau.
»Hallo Joshua. Nett, dass du anrufst.«
Ihre Stimme klang kühl. Nicht so vertraut und warm, wie sonst. Was war geschehen seit gestern, dachte er.
»Ja, ich freue mich auch, deine Stimme zu hören. Wie geht es dir und den Kindern? Vermisst ihr mich?«
Er biss sich auf die Zunge für seinen letzten Satz. Am anderen Ende war es für Sekunden still.
»Ja, die Kinder vermissen dich.«
»Nur die Kinder?«
»Joshua.«
Sie sprach seinen Namen in einem merkwürdigen Tonfall aus. Er würde dieses Wort noch die ganze Nacht im Sinn haben.
»Wir haben den Fall fast gelöst. Ich werde dann zu Winnie gehen und die Versetzung ins LKA anleiern, versprochen.«
Er vernahm ihren Atem. So hörte er sich nur an, wenn man sie nervte. Ihm war in dieser Sekunde auch nicht klar, welche Reaktion er erwartet hatte.
»Das wäre schön, aber ob es für uns reicht?«
Nun begann sein Puls zu rasen. Was denn noch, war es nicht das, was sie verlangte. Sie spürte seine plötzliche Verunsicherung.
»Mir ist in der letzten Zeit einiges klar geworden, Jo-shua. Du hast eigentlich immer nur an dich gedacht. Alle mussten Verständnis für dich und deine Arbeit aufbringen. Alles andere musste untergeordnet werden. Hast du mich einmal nach meinen Wünschen gefragt?«
Er spürte einen Kloß in seinem Hals. Sie hatte ihn
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