Zugzwang
einem LKW-Parkplatz kurz hinter Kamp-Lintfort hielt er an und klappte den Innenspiegel herunter. Mit etlichen Verrenkungen bekam er schließlich eine halbwegs brauchbare Rasur hin.
Abschließend nahm er sein Taschentuch und wischte sich die Reste Schaum aus dem Gesicht. Noch fünfunddreißig Minuten, Joshua raste los. Endlos lange Minuten musste er auf der Umgehungsstraße um Alpen hinter einem Traktor herfahren, die Zeit verrann. Kurz vor Büderich hatte er freie Fahrt. Joshua trat das Gaspedal durch. Noch eine Viertelstunde, das könnte reichen. Seinen verbissenen Gesichtsausdruck sollte er zwei Wochen später auf einem mäßigen Schwarzweißfoto wiedererkennen. Dieses Erlebnis dem vermeintlichen Erfolg unterordnend, fuhr er mit neunzig Stundenkilometern durch Büderich. Kurz vor dem Ortsausgang tauchte eine endlos lange Reihe Bremslichter vor ihm auf. Joshua schlug fluchend aufs Lenkrad. Wie sich eine Stunde später herausstellte, hatte auf der Rheinbrücke vor Wesel ein Auffahrunfall zur Sperrung der zweispurigen Rheinüberquerung geführt. Gegen fünfzehn Uhr betrat Joshua die Praxis von Doktor Wickum. Der Mediziner war sehr beschäftigt und Joshua blieb nichts anderes übrig, als sich in die Reihe der Wartenden einzuordnen. Er hatte Glück, lediglich vier Patienten waren vor ihm. Eine Stunde lang erinnerte Joshua sich daran, wie er früher die Urlaube mit seiner Familie verbrachte, bis er hineindurfte. Joshua wirkte wohl dermaßen erschöpft, dass der Mediziner ihm den Grund seiner Verspätung nachfühlend verzieh. Um seinen Gesprächspartner nicht unnötig aufzuhalten, kam Joshua auch direkt zur Sache. Er klärte Wickum ziemlich detailliert über die sonderbaren Vorfälle bei BioPharmaca und der Trabrennbahn Dinslaken auf. Der Neurologe rieb sich nachdenklich sein Kinn.
»Sie sprechen eine kollektive Kognition an?«
Joshua zog die Stirn in Falten.
»Eine gemeinsame Erkenntnis, quasi ein einheitliches Bewusstsein?«
»So was in der Art, Herr Doktor. Kann irgendetwas diese Leute beeinflusst haben? Vielleicht eine Art Massenhypnose?«
Er schüttelte langsam und nachdenklich den Kopf , »Nein, nicht in diesem Ausmaß. Einzelne Personen vielleicht, aber nicht eine derart große Menge. Obwohl es so ganz abwegig nicht ist, allerdings mehr theoretisch und auf einer anderen Ebene.«
»Sie machen mich neugierig, Herr Wickum.«
Der Arzt lachte und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Mit einer Geste bot er Joshua an, sich ebenfalls zu setzen.
»Nun, es gibt so genannte subliminale Botschaften. Diese entwickeln sich immer mehr zum Lieblingskind, vor allem der freien Forschungsinstitute. Es handelt sich dabei um Botschaften, die in Bild oder Ton versteckt werden. Sie sollen die Mandelkerne des limbischen Systems im Gehirn erreichen und dort entsprechend ausgewertet werden. Mit anderen Worten, der Empfänger dieser versteckten Botschaften soll in irgendeiner Weise reagieren.«
Joshua hörte ihm mit offenem Mund zu.
»Wie weit ist diese Wissenschaft, ich meine, was ist möglich?«
Wickum grinste.
»Jedenfalls nicht das, was Sie sich gerade vorstellen. Im Jahr 2000 hat Al Gore im amerikanischen Wahlkampf diese Technik eingesetzt. Sie haben in Fernsehspots im Zusammenhang mit der gegnerischen Partei das Wort ›Rats‹ eingeblendet. So kurz, dass es niemand bewusst sehen konnte. Selbst die Fernsehanstalten haben es nicht bemerkt. Es gibt Leute, die behaupten, dieser Spot habe drei Prozent Stimmen gebracht. Der empirische Nachweis darüber blieb allerdings aus.«
»Wäre es denkbar, dass diese Technik in der Werbung eingesetzt würde?«
»Denkbar ist alles. Aber erstens ist sie bei weitem noch nicht so ausgereift, wie sie von manchen Science-Fiction- Fans dargestellt wird und zweitens gilt es in fast allen Ländern der Erde als Täuschungsversuch und ist somit nicht zulässig. Stellen Sie sich darauf ein, dass Ihrem Fall eine konventionelle Lösung zugrunde liegt, Herr Trempe.«
So wird es wohl sein, dachte Joshua. Aber diese Erklärungen würden mit ein wenig Phantasie wunderbar in seinen Fall passen.
»Warum forscht man dann eigentlich an diesen subliminalen Botschaften, wenn man sie letztendlich doch nicht verwerten kann?«
»Warum wurde die Atombombe entwickelt? Es gibt auch medizinische Ambitionen. Die Russen versuchen derzeit mit dieser Beeinflussung des Unterbewusstseins die Alkoholsucht zu heilen. Französische Forscher haben damit erste Erfolge bei der Behandlung von Legasthenie verbucht. Leider
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