Zugzwang
Pfifferling.«
Joshua nahm es ihm nicht übel. Er kannte seinen Kollegen gut genug. Viktor war ein hervorragender Polizist. Sein Ehrgeiz schlug aber allzu schnell in Frust um, wenn sie eine Zeit lang nicht entscheidend weiterkamen. Seine Sorge um die schlechte Zusammenarbeit mit den Kollegen vom LKA teilte er nicht. Joshua war sich sicher, mit seinem Freund Jack und seinen Kollegen hervorragend zu harmonieren. Viel mehr Sorgen bereitete es ihm, dass der Fall nun eine politische Dimension anzunehmen schien. Wenn Daniels Andeutung sich bewahrheiten würde, und so abwegig war sie wirklich nicht, so mussten sie den größten Wahlbetrug der Nachkriegsgeschichte verhindern. Joshua überlegte, welcher Straftat man den Drahtziehern solcher Botschaften wohl bezichtigen würde. Wo lag die Grenze zwischen Werbung und Betrug. Schließlich gehörte es schon lange zu den Praktiken der Werbebranche, unterschwellige Botschaften zu verbreiten. Vieles würde davon abhängen, ob die Empfänger solcher Botschaften noch über ihre Meinungsfreiheit verfügten oder nicht. Die Befürchtung keimte in ihm, dass die Täter sich in einer juristischen Grauzone bewegten. Joshua verwarf diese Gedanken wieder, seine Aufgabe war ohnehin die Klärung der Mordfälle und da gab es keine Grauzonen.
Das Treffen war beendet, Joshua und Daniel beschlossen gemeinsam, diesen Bastian Nagel ausfindig zu machen. Es brannte ihm eigentlich unter den Nägeln. Er wollte unbedingt noch einmal in das Büro von Bönisch. Das musste jetzt warten, ebenso wie Janine, stellte er mit einem leichten Anflug von Resignation fest. Immer öfter erkannte Joshua, wie Recht sie hatte. Es blieb ihm tatsächlich kaum Zeit für seine Familie. Seit dem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung hatte er nicht einmal die Zeit gefunden, mit ihr über alles in Ruhe zu reden.
Während Daniel versuchte, im Präsidium den Aufenthaltsort von Nagel herauszubekommen, rief Joshua seine Frau an. Er entschuldigte sich zunächst bei ihr, dass er mal wieder keine Zeit für ein klärendes Gespräch hatte. Mit ruhiger Stimme heuchelte sie Verständnis.
»Da hat übrigens eine Dame für dich angerufen. Du wolltest dich heute Mittag mit ihr in einer Eisdiele treffen. Ich soll dir ausrichten, dass sie heute Abend für dich Zeit hat. Sie erwartet dich um zwanzig Uhr bei unserem Italiener in Düsseldorf.«
Sie sprach ›unserem Italiener‹ mit einer Gelassenheit aus, die ihn tief traf. Im ›La Grotta‹ in Düsseldorf erlebten sie beide viele romantische Abende bei Kerzenschein und gutem italienischen Essen. Warum regte sie sich nicht auf, löcherte ihn nicht mit Fragen? War er ihr schon so egal? Wie kam diese Frau ausgerechnet auf dieses Lokal? Joshua verschlug es die Sprache. Er hätte sich dafür ohrfeigen können, ihr die Karte mit seiner Privatnummer gegeben zu haben.
»Bist du noch dran?«
»Ja, Janine. Ich werde nicht mit dieser Frau essen gehen. Ich wollte sie vernehmen und da ist etwas dazwischen gekommen. Ich habe heute …«
»Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen.«
»Ich möchte es aber. Ich liebe dich. Nur dich.«
Stille drang vom anderen Ende zu ihm durch. Eine Stille, die ihn fast verzweifeln ließ.
»Wir müssen reden, sobald das hier vorbei ist, okay?«
»Ja, sicher. Bis dann.«
Janine hatte aufgelegt. Wieso waren sie nicht mehr dazu in der Lage, länger als eine Minute miteinander zu reden? Joshua verstand es nicht. Sie musste doch erkennen, wie sehr er sich bemühte. Er kam nicht einmal dazu, nach den Kindern zu fragen. Zweifelnd betrachtete er sein Handy. Zögernd begann er erneut, die heimische Nummer einzutippen, brach dann aber ab. Seine Ehe schien ihm augenblicklich zerbrechlich und wertvoll zugleich. Er müsste eigentlich jetzt die Zeit finden, die sie brauchte. Das würde in den nächsten Tagen wohl ein Traum bleiben, dachte er und steckte sein Telefon resigniert ein.
Daniel hatte inzwischen herausbekommen, wo Nagel sich aufhielt und gab ihm ein Zeichen zum Aufbruch.
»Wohin fahren wir eigentlich?«
»Nach Oberhausen. Die PdV hat dort eine Kundgebung.«
»Hast du denn eine Audienz bekommen?«
»Das war kein Problem. Das Wort ›Vorladung‹ scheint im Wahlkampf ein enormes Gewicht zu haben.«
Amüsiert sahen sie sich an.
»Mach das mal mit dem Ministerpräsidenten. Deine Tage im Polizeidienst wären schnell gezählt.«
Nach einer halben Stunde standen sie im Parkhaus des Oberhausener Centros. Sie wunderten sich, dass eine neu gegründete Partei wie die PdV für
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