Zugzwang
Sache: Ramon Schändler hat alles seiner Frau vererbt. Diese wiederum hat ein Testament zugunsten ihrer Tochter verfasst und für den Fall, dass keiner aus der Familie das Erbe antreten kann, fällt das gesamte Vermögen der Familie Schändler an die PdV, die Partei des deutschen Volkes.«
Zufrieden grinsend sah Viktor in die Runde. Joshua war überrascht. Möglicherweise hatten sie während der gesamten Ermittlungen den falschen Ansatz gehabt. Die Morde an Schändlers Ehefrau und seiner Tochter erschienen plötzlich in einem völlig anderen Licht. Zum ersten Mal gab es dafür ein handfestes Motiv. Allerdings standen die bisherigen Ermittlungsergebnisse sowie der Mord an Till Groding nun wie unpassende Puzzleteile im Raum.
»Vorsitzender dieser Partei ist ein gewisser Bastian Nagel. Über den konnte ich in unserer Datenbank nichts herausbekommen. Die Partei tritt übernächsten Sonntag zur Landtagswahl an. Sie haben in achtundachtzig Wahlkreisen die nötigen einhundert Unterschriften bekommen. Zudem stehen sie auf der Landesreserveliste. Es ist schwierig, einen Termin bei diesem Nagel zu bekommen. Das sei mitten im Wahlkampf unmöglich, teilte seine Sekretärin mit. Er ist mit seinen Gefolgsleuten aber morgen Vormittag in Duisburg. Da werde ich ihn mir mal zur Brust nehmen.«
Kalle wippte nervös auf seinem Stuhl hin und her.
»Wie viel erben die denn von den Schändlers?«
»Schwer zu sagen. Für sein Firmenimperium gab es im letzten Jahr ein Übernahmeangebot in Höhe von fünfundvierzig Millionen US-Dollar. Der tatsächliche Wert dürfte mittlerweile weit darüber liegen. Dazu kommt natürlich noch das nicht unbeträchtliche Privatvermögen. Thomas ten Voort, sein Notar, meinte, da könne man auch noch mal von einem Betrag in zweistelliger Millionenhöhe ausgehen.«
Kalle pfiff durch die Zähne. Joshua versuchte, die neuen Erkenntnisse mit dem bisherigen Ermittlungsstand abzugleichen. Kalle unterbrach seine Gedanken.
»Das ist ja ein prächtiges Mordmotiv.«
Joshua zuckte mit den Schultern. Kalle ließ seinen Stuhl nach vorne fallen und beugte sich über den Tisch hinweg zu ihm herüber.
»Mindestens sechzig Milliönchen. Mann Joshua, was willst du denn noch?«
»Wenn es um Geld geht, ja.«
»Wie bitte? Ich hör wohl schlecht. Um was soll es denn bei sechzig Millionen oder noch mehr sonst gehen?«
Joshua rieb sich das Kinn. Er wusste es nicht. Er hatte nicht mehr als seine innere Stimme. Die sagte ihm, dass es um mehr ging als diese Erbschaft. Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren. Welche Rolle spielten Skopje und Bönisch? Warum sollte Schändler sein Vermögen einer Partei vererben? Es konnte nur ein Motiv für diese Verbrechen geben.
»Vielleicht geht es um Macht.«
Kalle sah ihn verständnislos an. Daniel pflichtete ihm bei.
»Das könnte passen. Ich denke da an diese mysteriösen Vorkommnisse, bei denen Menschen offensichtlich beeinflusst wurden. Ich will den Teufel nicht an die Wand malen, aber wenn es gelingt, an einem Morgen Millionen Menschen davon abzuhalten, mit der Bahn zu fahren, was wäre dann bei einer Wahl möglich?«
Kalle sah ihn erschrocken an. Eine bedrückende Stille breitete sich aus. Marlies lehnte sich über den Tisch und begrub ihr Gesicht in ihren Händen. Joshua wusste, was ihre Bedrückung auslöste. Keiner wagte es auszusprechen, aber sie wären aus dem Fall. BKA und BND müssten eingeschaltet werden. Die Zeit war zu knapp, um die Ermittlungen einem so mächtigen Apparat zu übertragen.
»Das ist natürlich möglich. Aber bis jetzt nur eine These. Wir müssen uns auf jeden Fall diese Partei vorknöpfen. Das kann nicht bis morgen warten. Wir müssen diesen Nagel irgendwie auftreiben und vernehmen!«
»Ja, müssen wir«, Viktor schlug mit der Hand auf den Tisch, »und wir müssen wissen, warum die Kollegen aus Düsseldorf gelogen haben. Dazu müssen wir Skopje finden, wir müssen herausbekommen, wer in dem Flieger nach Buenos Aires saß und erfahren, was in dem Institut von Bönisch wirklich abgeht. Abgesehen davon wäre es wichtig zu erfahren, warum alle Welt plötzlich nicht mehr Bahn fährt und was Carl Enkel mit der ganzen Sache zu tun hat. Und das alles am besten bis gestern. Mensch Joshua, wir sind zu fünft, wie stellst du dir das vor?«
Joshua hob resigniert die Arme und seufzte.
»Morgen bekommen wir ja Verstärkung.«
»Das kenne ich. Beim letzten Mal kamen die mit zwei Kollegen und haben an uns vorbei ermittelt. Darauf setze ich keinen
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