Zuhause ist ueberall
mir zu: Seit dem Abkommen ist er ein anderer Mensch. Schade. Wieder einer, denke ich bei mir, der den plötzlichen Ruhm nicht verkraften kann.
Für mich sind die Tage von Danzig ein Crashkurs in der Arbeit für elektronische Medien. Als Hörfunk-Reporterin bin ich auf funktionierende Leitungen angewiesen. Hörfunkleitungen gibt es in Danzig nicht, die Telefonleitungen sind unzuverlässig und qualitativ mangelhaft. Ich finde also einen Taxifahrer, der mich in seinem klapperigen Polski-Fiat jeden Morgen von meinem Warschauer Hotel drei Stunden nach Danzig fährt und gegen Abend wieder zurück. Dann mache ich meine Berichte. Und am nächsten Morgen geht es wieder von neuem los.
Eines Abends finde ich ein Fernschreiben vor: Die Zentrale will für den nächsten Tag und für alle folgenden einen Fernsehkommentar für die Abendnachrichten. Polen ist plötzlich Top-News in ganz Europa geworden, und der ORF ist froh, jemanden am Ort zu haben. Alsbald taucht ein Kamerateam auf. Ich soll nun auch Fernsehberichte machen. Ich habe keine Ahnung vom Fernsehen und weiß kaum, wo bei einer Kamera vorn und hinten ist. Gottlob ist der Kameramann nett und erklärt mir die Grundbegriffe.
Als ich, ziemlich erledigt, wieder nach Wien komme, winkt ein Karrieresprung: Der Generalintendant hat große Pläne. Er will eine Osteuropa-Redaktion aufbauen, die eine Ost-West-Drehscheibe für ganz Europa werden soll – und ausgerechnet ich soll sie leiten. Ich mache erste Schritte im neuen Job und lerne staunend die Ameisenhaufen-Welt eines Riesenunternehmens kennen, mit seinen Hierarchien, offenen und heimlichen, seinen Prestige-Ritualen und Hackordnungen, seinen Rivalitäten und Ängsten und seinen Prioritäten, die oft um ganz nebensächliche Dinge kreisen. Kaum zu glauben, um was für Blödsinnigkeiten begabte und hochqualifizierte Menschen lange Diskussionen führen können.
Beispiel: die Größe der Büros. Wer etwas gilt, hat ein Zimmer von mindestens zwei, wenn nicht drei Modulen. Ein Modul entspricht einer Fensterbreite. Die Wände kann man je nach Bedarf einziehen. Ich habe aus den acht Modulen unserer Redaktion drei Räume machen lassen, je einen großen für die beiden Reporter und das Sekretariat, einen kleinen Ein-Modul-Raum für mich. Es gab verwunderte Blicke. Und wohlwollende Kollegen sagten: Sei nicht blöd, nimm dir zwei Module. Sonst hast du keinen Status.
Ein weiteres Statussymbol ist ein Zimmer, das nur durchs Sekretariat, aber nicht vom Gang aus oder durch ein Konferenzzimmer betretbar ist. In der Dokumentationsabteilung haben die beiden Vizechefs nun zwar, um Chefambitionen vorzubeugen, Zimmer mit je drei Türen (niedriges Prestige), aber die Türen haben keine Klinken und gehen von außen nicht auf (also doch Chefzimmer). Herzmanovsky-Orlando, schau oba!
Sich im Dschungel der Abteilungen zurechtzufinden, alle durch unverständliche Abkürzungen bezeichnet, ist eine Wissenschaft für sich. Jedes Stück Papier muss schriftlich angefordert werden, mit vier Durchschlägen, an GO5 über FS1 cc Herrn X, Y, Z. Auch das Haus, ein Architekturwunder aus Beton, ist ein Labyrinth, in dem ich mich ständig verirre und plötzlich verloren zwischen Musikstudios und Komparsenräumen stehe.
Gottlob sind alle freundlich und helfen gern. Überhaupt sind die meisten hier als Einzelpersonen durchaus nette und vernünftige Menschen – nur im Ganzen steckt irgendwo der Wurm. Alle schimpfen aus Leibeskräften aufs Unternehmen, arbeiten entweder viel zu viel oder gar nicht, und das Intrigieren – Rot gegen Schwarz, Schwarz gegen Rot, Abteilung gegen Abteilung, jeder gegen jeden – floriert. Über Inhalte wird in den Konferenzen wenig gesprochen. Die Technik auf der einen und die Parteipolitik und das Budget auf der anderen Seite dominieren alles.
Ich kriege die Mitarbeiter nicht, die ich mir wünsche. Ich bin im Ausland unterwegs, wenn wichtige Sitzungen anstehen. Ich bin nicht gut im Netzwerken und in Teamarbeit. Alsbald werde ich abserviert – und bin insgeheim erleichtert, den Job los zu sein. Ich heiße jetzt »Chefreporterin« und mache mich wieder auf nach Polen.
Dort ist die Euphorie der Streiktage verflogen, und die Mühen der Ebene haben begonnen. Die in Danzig geborene freie Gewerkschaft Solidarność ist zwar stark, aber das Regime ist noch lange nicht geschlagen. Die Streiks haben die Wirtschaft geschwächt. Die Versorgungslage, schon vorher schlecht, ist jetzt miserabel. Wir drehen eine Magazin-Geschichte über eine
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