Zuhause ist ueberall
zwei Wochen herkommen, im Gästehaus wohnen und bei Schwester Gregoria an der Pforte essen, ist die Burg in den Weinhügeln eine Art zweite Heimat geworden. Sie gehen in der schönen südsteirischen Landschaft wandern, lassen sich die berühmte Pertlsteiner Apfelmarmelade mit den großen Apfelstücken schmecken, die es nirgendwo anders gibt, plaudern mit Schwester Gregoria, helfen ein bisschen im Garten und zahlen für all das sehr wenig. Man nimmt als Klostergast natürlich auch an der Vesper und am schönen gesungenen Choralamt teil und schmunzelt ein bisschen, wenn Schwester Irmengard, die für die Bienen zuständig ist, bei den Fürbitten für warmes Wetter beten lässt und Schwester Michaela sich für ihre Äpfel Regen wünscht. Gäste gibt es im Sommer genug. Aber Klosternachwuchs keinen.
Wir wissen insgeheim alle, dass diese Abtei ein Auslaufmodell ist. Schön als Kulisse und schön als Zufluchtsort für eine Weile. Aber kein Modell mit Zukunft. Ich komme in den folgenden Jahren noch öfter nach Pertlstein und sehe jedes Mal, wie die Kommunität kleiner und kleiner wird. Beim letzten Mal gehe ich über die Obstplantage, die mittlerweile verpachtet ist, hinüber zum Friedhof. Er liegt abgeschieden unter hohen Bäumen. Ich muss Gras und Gesträuch mit den Händen von den Grabsteinen wegschieben, um die Inschriften lesen zu können. Es hat niemand mehr die Zeit und die Kraft, um diesen Friedhof in Ordnung zu halten. Hier gibt es jetzt mehr Gräber als Nonnen im Konvent. Ich suche auf den überwachsenen Steinen die Namen der Frauen, die mir liebgeworden sind. Cäcilia und Basilia, Maria Antonia und Gregoria, Miriam und Martha. Sie sind, so hoffe ich, jetzt alle »drüben«.
Inzwischen gibt es die Abtei St. Gabriel nicht mehr. Die wenigen verbliebenen Nonnen sind in ein kleines, modernes Haus weggezogen. Die Burg ist verkauft. Sie soll in Zukunft für touristische Zwecke genutzt werden. Und auch der Sockel, wo einst der Bronzeengel aus Prag stand, ist jetzt leer. Den Erzengel Gabriel haben die letzten Pertlsteiner Schwestern in ihr neues Domizil mitgenommen.
Die Tage von Danzig
September 1980: Ich sitze in der Redaktion des ORF Hörfunks, wo ich jetzt arbeite, und lese die neueste Fernschreiber-Nachricht von der Streikbewegung in Polen. Jetzt, steht auf dem Telex, streikt auch die Leninwerft in Danzig. Und unter den Forderungen der Streikenden ist neben der nach mehr Lohn auch die nach freien Gewerkschaften. Bei mir klingelt eine Alarmglocke. Neulich war ich nämlich in Polen, beim ersten Besuch des polnischen Papstes Johannes Paul II. in seiner Heimat, und habe dort auch Adam Michnik getroffen, einen der bekanntesten Dissidenten des Landes. Und dieser meinte, was er und seine Freunde jetzt anstrebten, sei nichts weniger als dieses: freie Gewerkschaften.
Ich hielt das damals für einen utopischen Wunschtraum. Das ist wohl das Allerletzte, wozu sich ein kommunistisches Regime bereitfinden würde, dachte ich bei mir. War doch die Funktion der Gewerkschaften als »Transmissionsriemen« der Partei eines der ehernen Dogmen des sogenannten realen Sozialismus. Adam, du träumst. Und jetzt steht hier schwarz auf weiß: Die Arbeiter eines der größten polnischen Betriebe streiken, um in ihren Vertretern nicht länger Funktionäre der allmächtigen Staatspartei sehen zu müssen, sondern unabhängige Repräsentanten ihrer selbst.
Am nächsten Tag sitze ich im Flugzeug nach Polen. Das ist das Wunderbare an meinem neuen Job: Ich kann endlich das tun, was ich immer wollte, nämlich reisen und berichten, ohne lange bitten und ohne jeden Schilling zweimal umdrehen zu müssen. Seit zwei Jahren ist Gerd Bacher, nach seiner Abwahl 1974, wieder Generalintendant von Rundfunk und Fernsehen. Für ihn sind Auslandsberichterstattung und insbesondere Berichterstattung aus Osteuropa wichtig, dafür öffnet er gern sein Medium, »die größte Orgel des Landes«, wie er es nennt. Die Zeiten sind vorbei, wo ich als Zeitungsredakteurin nur dann ins Ausland kam, wenn es galt, einen österreichischen Staatsbesucher dorthin zu begleiten, und darum kämpfen musste, einen oder zwei Tage anhängen zu dürfen, um über das zu berichten, was mir an jenem Land wirklich interessant erschien.
Streiks in Polen sind in jenem Jahr 1980 nichts Besonderes. Am Ruder ist die Regierung Edward Gierek, der vor allem anderen daran gelegen ist, die Arbeiterschaft ruhig zu halten. Vielerorts wurde schon gestreikt, die Leute verlangten mehr Geld und bekamen es
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