Zuhause ist ueberall
Cousins und Cousinen. Willys und Romans Ehe wird überaus glücklich. Drei Kinder kommen, die in Breznitz aus und ein gehen. Roman liebt und vergöttert seine Frau bis zu deren Tod und wird mit der Zeit Großpapas liebster Schwiegersohn. Und als Willys Geschwister, die standesgemäß geheiratet haben, aus Böhmen vertrieben werden und mittellose Flüchtlinge sind, ist Willy die Einzige, die ihr Hab und Gut behalten hat. Ende einer Lesebuchgeschichte.
Der Nächste in der Breznitzer Geschwisterreihe ist Onkel Karl, von seinen Geschwistern Bubutz genannt, der einzige Sohn neben drei Töchtern. Er ist ein nachdenklicher, musischer Mensch mit einem stillen Humor, der es unter seinem dominanten Vater nicht leicht hat. Wie dieser war er in seiner Jugend ein hervorragender Reiter, zeitweise Profi-Jockey im väterlichen Rennstall. In dieser Eigenschaft führte er auf seinem Pferd Cäsar die blau-gelben Wappenfarben der Pálffys zu vielen Siegen. Karl hatte die Methode heraus, vor wichtigen Rennen nach Belieben blitzschnell ein paar Kilo zu- oder abzunehmen, um das richtige Gewicht auf die Waage zu bringen. Damit erregte er die Bewunderung meines Vaters, mit dem zusammen er in Prag studiert hatte. Denn Onkel Karl hatte darauf bestanden, als Erbe von Breznitz seinen künftigen Beruf richtig zu lernen, und Landwirtschaft studiert. Großpapa fand das überflüssig (»da hält man sich einen Kerl«), hatte aber nichts dagegen.
Onkel Karl muss es schwer gefallen sein, nach dem deutschen Einmarsch für das Deutschtum zu optieren. Er hatte in der tschechoslowakischen Armee gedient und hatte tschechische Kameraden. Aber gegen das Machtwort seines Vaters gab es keinen Widerspruch. In meiner Kinderzeit wohnt er mit seiner schönen ungarischen Frau, Tante Ilona, und seinen vier Kindern in Merklin, einem kleinen Schloss mit Gut nahe Breznitz. Ich bin dort manchmal zu Besuch, Ladislaus, der Älteste, ist in meinem Alter. Wenn wir unbeobachtet sind, spielen wir im Park ein äußerst verruchtes Spiel, Lullimann und Gackimann. Es besteht darin, dass man gemeinsam Lulu macht und dazu singt: »Lullimann und Gackimann gehn alle miteinander.« Theresl, Ladis kleine Schwester, wird zum Stillschweigen verpflichtet. Wir wagen uns gar nicht vorzustellen, was passieren würde, wenn wir bei dieser Verworfenheit erwischt würden.
Mamis jüngste Schwester Gretl heißt »der Nigger«. Sie hat kurze schwarze Locken und einen olivfarbenen Teint. Tante Gretelein, wie wir sie nennen, hat nach Mähren geheiratet, und ihr Schloss Lomnitz ist alles, was Breznitz nicht ist, nämlich elegant und technisch auf der Höhe der Zeit. Man sieht, dass hier eine andere Generation am Werk war. Ich bin ganz baff über die Badezimmer – weiß gekachelt, mit chromblitzenden Armaturen und riesigen, herrlich weichen Badetüchern. Sogar ein Bidet steht in unserem Badezimmer, ein Utensil, das ich noch nie gesehen habe. Ich halte es für eine Kloschüssel und bin entsetzt, als ich meinen Irrtum bemerke. Peinlich, peinlich, peinlich.
Tante Gretelein hat viel Geschmack. Täglich arrangiert sie die Blumenvasen im Haus, und das Resultat ist eine Augenweide. Für die Dekoration im Speiszimmer aber sorgt der Diener Alois, auch er ein Künstler. Jeden Tag eine Überraschung. Einmal stehen in der Mitte des Tisches Vögel aus Herend Porzellan, einmal gibt es ein Muster aus Blumenblättern, einmal eine Silberschüssel mit rosa Rosen. Oder eine Schale mit Pfirsichen mit dem Familienwappen. In Lomnitz wird Spalierobst gezogen. Den Pfirsichen klebt man, wenn sie noch unreif sind, Papierschablonen auf. Sind die Früchte reif, werden die Schablonen abgenommen, und man kann, weiß auf rot, allerhand Ornamente bewundern, Blumen, Buchstaben oder eben ein Wappen. Ich kann mich nicht sattsehen an diesem Wunderwerk.
An so etwas Raffiniertes ist in Breznitz nicht einmal zu denken. Dort gilt das Diktum: Die Mährer sind »fast«. Das englische Wort »fast« heißt so viel wie leichtlebig, frivol, ein bisschen gewagt. Das kommt davon, dass es die mährischen Standesgenossen nicht weit haben nach Wien, und dieses ist, im Vergleich zum ruhigeren Prag, eine aufregende Weltstadt, wo man der jeweils neuesten Mode nachläuft und dem Luxus frönt. Man geht dort, höre ich mit wohligem Schaudern, in Bars und trinkt Cocktails. Im steifleinenen Breznitz sieht man dergleichen mit milder Skepsis.
Ständiger Gast in Lomnitz ist Tante Mamie. Sie ist eine uralte Amerikanerin, eine Verwandte von Onkel Louis
Weitere Kostenlose Bücher