Zuhause ist ueberall
Familienschätze verkaufen. Eine sprudelnde Quelle für Kunstliebhaber aus Europa, die jetzt in steigender Zahl Japan entdecken. Alles Japanische ist plötzlich in Mode. »Japonisme« nennen das die tonangebenden Pariser Ästheten. Sie schmücken ihre Häuser mit japanischen Lackarbeiten, kleinen Netsuke-Figuren aus Buchsbaum und Elfenbein, bestickten seidenen Wandschirmen und minimalistischer japanischer Keramik. Ein Riesengeschäft für Japans Antiquare. Einer davon ist Kichatschi Aoyama, vor dessen Laden das Pferd des österreichischen Geschäftsträgers gestürzt ist.
Großmutter Mitsuko, genannt Mitsu, Tokio, 1890er Jahre
Dieser hat das Mädchen im Kimono nicht vergessen. Er kommt wieder und kauft im Geschäft des Herrn Aoyama das eine oder andere Kunstwerk. Mitsu serviert dem Gast Tee. Dieser steht, höflich, wie er ist, jedes Mal auf, wenn die Tochter des Hausherrn den Raum betritt. Mitsu kennt diese Sitte nicht. Sie meint, den fremden Herrn drückten seine Schuhe. Aber sie mag ihn. Ein Wort gibt das andere, und früher oder später landet die Kleine in der österreichisch-ungarischen Gesandtschaft, zunächst als Mitarbeiterin, aber bald als Konkubine des Chefs. Praktisch alle alleinstehenden Europäer in Japan haben eine solche. Heinrich ist dem Rang nach nur Erster Sekretär, aber einen Gesandten gibt es derzeit nicht. Es ist Heinrich, der die Gesandtschaft leitet. Er liebt Mitsu, auf seine Weise. Und sie liebt ihn, auf ihre Weise.
Irgendwann stirbt im fernen Böhmen Heinrichs Vater. Heinrich ist der älteste Sohn und, wie alle annehmen, der Erbe des Besitzes, Schloss und Herrschaft Ronsperg im Böhmerwald. Aber Heinrich interessiert eine Existenz als böhmischer Großgrundbesitzer nicht. Er hat am Fernen Osten einen Narren gefressen und will dort bleiben. Er liebt Japan, hat Japanisch gelernt und Japans Geschichte studiert. So fasziniert ist er von seinem Dienstort, dass der Außenminister dem jungen Mann beim Abschied wohlwollend eingeschärft hat: Du darfst nicht vergessen, dass du der Vertreter Österreichs in Japan bist und nicht der Vertreter Japans in Österreich. Seinen Geschwistern hat Heinrich schon damals bedeutet: Mit mir müsst ihr nicht rechnen, ich komme nicht mehr zurück. Ich verzichte auf mein Erbe. Sein nächstjüngerer Bruder Hans hat daraufhin seinen Dienst als Berufsoffizier quittiert und bereitet sich darauf vor, eines Tages Ronsperg zu übernehmen.
Aber da haben beide die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Als das Testament ihres Vaters geöffnet wird, gibt es lange Gesichter. Wie sich zeigt, hat dieser seinen Besitz nicht seinem ältesten Sohn vermacht, sondern, eine Generation überspringend, »dem ältesten Sohn meines ältesten Sohnes«. Und diesen gibt es schon. Heinrich und Mitsu haben mittlerweile bereits zwei Kinder, zwei halbjapanische Büblein, die in Tokio aufwachsen sollen. Aber das geht nun nicht mehr. Alle sagen zu Heinrich: Du kannst nicht auf etwas verzichten, das dir nicht gehört. Und den künftigen Besitzer von Ronsperg kannst du nicht in Japan aufziehen.
Da heißt es nun, alle Lebenspläne radikal ändern. Hans, der Zweitgeborene, verlässt Ronsperg und geht nach Afrika, um nie mehr zurückzukehren. Er war immer ein Tiernarr gewesen. Jetzt lebt er im Busch, ist meist unterwegs, umgeben von zahlreichen Tieren, vor allem zahmen Affen. Er hinterlässt ein schönes Buch über seine afrikanischen Abenteuer: »My African Neighbours. Man, Bird and Beast in Nyasaland«.
Großonkel Hans Coudenhove, 1925 in Afrika
Heinrich lässt seine Konkubine katholisch taufen und heiratet sie in der Residenz des Erzbischofs. Er verlässt den diplomatischen Dienst. Er weiß: Mit einer japanischen Frau, die keine Ahnung von europäischen Sitten und Gebräuchen hat, kann er nie Botschafter in einem wichtigen Land werden. Er packt Frau und Kinder zusammen und macht sich auf den Weg zurück nach Europa. Ob Mitsu gefragt worden ist, ob sie das auch will? Jedenfalls wird sie vor ihrer Abreise von der japanischen Kaiserin empfangen, eine große Auszeichnung. Diese gibt der jungen Frau die Mahnung mit, sie solle im fremden Land immer Japans Ehre hochhalten. Mitsu nimmt das sehr ernst. Sie will eine gute Tochter Japans bleiben, aber auch in Europa alles richtig machen. Keine leichte Aufgabe.
Der Kulturschock muss gewaltig gewesen sein. Mitsus zweiter Sohn Dicky beschreibt in seinen Erinnerungen, einen japanischen Biographen zitierend, seine Mutter so: »Sie hatte einige tausend chinesische
Weitere Kostenlose Bücher