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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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Major und fragt, wer Englisch spricht. Mein Vater meldet sich und wird sofort zum Chef unseres Flüchtlingslagers ernannt. Das Lager, stellt sich heraus, ist eine verlassene Fabrikhalle. Wir sind etwa zweitausend Leute, Männer, Frauen und Kinder. Jede Familie sucht sich einen Schlafplatz auf dem schmutzigen Betonboden. Wir finden ein Eck, ein paar alte Hanfseile liegen hier. Wenn man sie aufdröselt, ergibt das die Illusion eines kleinen Strohpolsters. Unsere einzige Decke drauf, und wir haben ein Bettchen für unseren mittlerweile völlig erschöpften Michi.
    Die Fabrikhalle wird für die nächsten Wochen unser Zuhause. Unser Vater ist kein Kommandotyp, aber er macht als Lagerleiter seine Sache sehr gut. Er sucht sich unter den Flüchtlingen die Leute mit den nötigen Fachkenntnissen heraus, und alsbald gibt es einen Verantwortlichen oder eine Verantwortliche für die Lebensmittelverteilung, für die Lagerpolizei, für die Kinderbetreuung, die Sauberkeit des Lagers und etliches andere. Die meisten sind froh, eine Aufgabe zu haben.
    Sie organisieren, was das Zeug hält, halten Sitzungen ab, diskutieren, legen Hand an, wo es nötig ist. Alles klappt vorzüglich. Papi selbst hat den Kontakt zu den Amerikanern übernommen. Täglich macht er seinen Rundgang von einer Familie zur anderen und lässt sich erzählen, wo es Probleme gibt. An seiner Seite wandelt Herr Kade, ein gutmütiger Sachse mit Boxerfigur. Er ist ein Raubein, aber ungemein tüchtig. Die beiden ergänzen einander gut. Mein Vater ist höflich, Herr Kade ist streng, gemeinsam schaffen sie es, dass es in diesem zusammengewürfelten Haufen von traumatisierten und entwurzelten Menschen kaum Streit gibt und erstaunlich viel gegenseitige Hilfsbereitschaft.
    Trotzdem gibt es immer wieder Aufregungen. Zweimal versuchen Verzweifelte, sich das Leben zu nehmen. Sie schneiden sich die Pulsadern auf, der Quere, nicht der Länge nach, sie werden rechtzeitig gerettet. Einmal kommt eine tschechische Kommission ins Lager, sie holt gesuchte Kriegsverbrecher heraus. Dann wieder findet sich im Hof ein vollbeladener Lastwagen, er gehört angeblich dem geflohenen Generaldirektor. Maschinenteile sollen drinnen sein. Mein Vater lässt die Fracht öffnen. Es stellt sich heraus, dass sie Lebensmittel enthält. Sie werden an die Kranken und an die Kinder verteilt. Das erste und einzige Mal, sagt Papi später, dass er sich an fremdem Eigentum vergriffen hat.
    Unser Nachbar in der Fabrikhalle ist ein eleganter Herr, der dem damals bekannten Filmstar Siegfried Breuer ähnlich sieht. Auch im Flüchtlingslager sieht er höchst distinguiert aus. Er trägt einen Kamelhaarmantel und erklärt uns, dass nur englische Zigaretten gut sind. Wir freunden uns an. Wenn wir nach Salzburg kommen, sagt er, müssen wir ihn unbedingt im Hotel Bristol besuchen, dort steige er immer ab. Aber als wir später tatsächlich nach Salzburg kommen, stellt sich heraus, dass im Bristol ein amerikanischer Offiziersclub eingerichtet ist. Natürlich keine Spur von unserem Freund.
    Die Amerikaner sorgen für unsere Verpflegung. Von irgendwo haben wir ein Kochgeschirr ergattert, täglich stellen wir uns in einer langen Schlange an und bekommen eine heiße Suppe, in der Nudeln und kleingeschnittene Würsteln schwimmen. Die Würsteln sind nicht rund, sondern viereckig, damit man sie besser stapeln kann. Ich bin beeindruckt von so viel amerikanischer Effizienz. Außerdem gibt es eine Scheibe Schwarzbrot und manchmal eine Konserve aus deutschen Armeebeständen. Aber was sollen die etwa hundert Kleinkinder im Lager essen? Unser Vater geht zum Kommandanten. Der schildert das Problem seiner Truppe, und das Resultat ist, dass die US-Soldaten auf ihr Frühstück verzichten. Ein Lastwagen voll Trockenmilch und Haferflocken wird bereitgestellt, die unser Lebensmittelbeauftragter an die Babys abgeben kann.
    Auch eine Gesundheitsstation gibt es in unserem Flüchtlingslager, geleitet von einem amerikanischen Militärarzt namens Doktor Mandel. Dieser holt sich unseren Jakob als Dolmetscher, Laufburschen, Assistenten und Mädchen für alles. Die Amerikaner nennen meinen Bruder Jake, sie behandeln den Halbwüchsigen mit gutmütiger Nachsicht. Sie stecken ihm immer wieder etwas zu essen zu, das bringt uns Jakob in unsere Schlafecke. Auch ein Paar Schuhe für Mami hat er aufgetrieben. Er schwebt im siebenten Himmel. Er hat ein Techtelmechtel mit einer jungen Krankenschwester angefangen, seine erste richtige Affäre. Plötzlich hat er

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