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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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anderen Netzwerk-Bekannten gibt es nach dem Essen sogar Kaffee, die Gastgeber bereiten ihn aus dem Kaffeesatz zu, den bei ihnen einquartierte amerikanische Soldaten in die Abfallkiste geworfen haben. Er schmeckt köstlich.
    Und dann machen wir uns mit unserem Kinderwagen auf den Weg in den Lungau. In Hallein findet unser Vater einen Schuster, der ihm gratis seine kaputten Schuhe wieder instand setzt. Es sind Schuhe vom Prager Edelschuster Šindelař, der die Maßschuhe für die Herren der böhmischen Gesellschaft anzufertigen pflegte. Sie haben den Marsch von Prag bis Hallein gut überstanden, erst hier sind sie durchgelaufen. Und mit neuen Sohlen schaffen sie es noch ein paar Jahre.
    Wir sind inzwischen geübte Wandersleute geworden. Auf dem Halleiner Bahnhof finden wir einen Lastzug und besteigen, ohne zu bezahlen, einen Güterwagen, der uns bis Radstadt bringt. Aber jetzt ist guter Rat teuer. Zu Fuß über die Hohen Tauern? Mit dem Kinderwagen und dem kleinen Michi, den die Strapazen des Bettelmarsches schwer mitgenommen haben? Aber wieder funktioniert das Netzwerk. In Radstadt kampiert eine deutsche Kavalleriedivision, die sich den Engländern ergeben hat und jetzt aus dem Lungau abmarschiert. Wir treffen einen jungen blonden Leutnant, dessen Eltern mein Vater gekannt hat. Ein Baron Christoph Thienen. Er heiratet später meine Cousine Bella. Christoph gelingt es, uns in einem deutschen Wehrmachtsautobus unterzubringen, der uns über die Tauern nach Mauterndorf bringt. Wir sind im Lungau. Wir haben es fast geschafft. Halleluja.
    Als wir im Städtchen ankommen, ist es schon Abend. Es herrscht Ausgangssperre, sogenannter curfew. Nach Einbruch der Dunkelheit darf kein Zivilist mehr auf der Straße sein. Ein britischer Offizier hält uns an. You know I could shoot you now?, sagt er zu meiner Mutter. I know you could, sagt diese, but I know you won’t. Da muss der Engländer lachen und quartiert uns in einer Wirtsstube ein, wo wir auf den Bänken schlafen und die Nacht verbringen können. Und dann kommt die endgültig letzte Etappe: von Mauterndorf zum Granglerhaus im Weißpriachtal. Ziel erreicht.

»Der Grangler« nahe Mauterndorf im salzburgischen Lungau
    Der Grangler ist ein Bauernhaus, das, wie im Salzburgischen üblich, einen Hausnamen hat, der nicht unbedingt der Name des derzeitigen Eigentümers sein muss. Wenn der Besitzer wechselt oder der Hof über eine Tochter weitervererbt wird, behält er seinen ursprünglichen Namen. Jeder im Tal kennt ihn. Der Grangler wurde von meinem Großvater als Jagdhaus genutzt, aber, typisch Großpapa, keineswegs für Herrschaften ausgebaut. Alles ist noch fast genauso wie zu den Zeiten, als hier noch der Granglerbauer lebte. Zwei große Stuben, gemütlich eingerichtet, vorn. Eine Küche. Der Herd muss das ganze Haus heizen und auch das Wasser in dem großen Container wärmen. Drei kleine Schlafzimmer im oberen Stock, über eine steile Stiege zu erreichen. Hinten, wo früher der Stadel und die Ställe waren, ist die große »Jagerkuchl«, wo nach Jagden das Wild gehäutet und die Trophäen ausgekocht wurden. In einem kleinen Nebenhaus wohnen Oberjäger Stürzl und seine Frau Mirl. Und auf der Wiese steht eine kleine Kapelle, halb Marterl, halb Kirchlein, weißgestrichen, mit einem Schindeldach und einem primitiven, aber schönen bäuerlichen Marienbild.
    Der Grangler liegt am Talschluss, gleich hinter dem Haus erheben sich das mächtige Karner Eck und das spitze Gurpitscheck. Es gibt noch keine Touristenhäuser. Im Tal der Longa, einem lebhaft sprudelnden Bergbach, stehen nur ein paar einzelne Bauernhöfe, der Grangler, der Roder, der Abraham, der Schwarzenbichler. Der letzte ist der größte und schönste, er liegt im winzigen Dörfchen Weißpriach, wo sich auch die Kirche befindet und eine einklassige Volksschule.
    Es ist eine wunderschöne Gegend, eine ländliche Idylle, aber ich habe dafür keinen Blick. Die strapaziöse Reise habe ich gut hinter mich gebracht, aber jetzt packt mich das Heimweh mit voller Wucht. Klagen und Jammern gibt es bei uns nicht, aber wenn mich niemand sieht, weine ich mir die Augen aus. Wo ist mein Prag? Wo ist meine Stadt? Wo ist mein Zuhause? Was soll ich, das Stadtkind, hier in dieser Einöde? Was soll aus mir werden? Wird überhaupt je etwas aus mir werden? Ich mag die Berge nicht, die mir die freie Sicht verstellen. Ich höre absichtlich nicht zu, wenn mir jemand deren Namen erklärt. Auch die Kühe mag ich nicht, die mit ihren melodisch

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