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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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einen Job und eine Freundin, er ist über Nacht erwachsen geworden. Und sein Schulenglisch wird von Tag zu Tag besser.
    Als wir nach zwei Wochen das Flüchtlingslager, das nach Bayern verlegt werden soll, in Richtung Österreich verlassen, bleibt Jakob bei den Amerikanern. Dr. Mandel hat meinen Vater gebeten, ihm Jake als Sanitätsgehilfen anzuvertrauen. Diesem steht noch ein einigermaßen gefährliches Abenteuer bevor, das freilich gut ausgeht. Später, als wir in Österreich wieder alle zusammenkommen, erzählt er davon. Kurz nach unserer Abreise unternimmt einer der US-Offiziere, ein rothaariger Captain, einen Ausflug nach Prag und nimmt Jakob in seinem Jeep mit. Jakob bittet ihn, vor dem Haus eines der tschechischen Universitätskollegen unseres Vaters haltzumachen. Bei Professor Průšek haben wir eine Kiste mit Silbersachen deponiert, darunter ein recht wertvolles Service mit 24 Platztellern aus dem Erbteil eines russischen Vorfahren. Der Professor hat versprochen, es bei sich aufzubewahren, bis sich die Verhältnisse beruhigt haben. Er händigt es Jakob aus, mit vielen guten Wünschen, und Jakob setzt sich wieder zum Captain in dessen Jeep. Zeig her, sagt dieser. Und nimmt die Kiste dann seelenruhig an sich. Wenn das Jake nicht passe, könne dieser ja aussteigen und sehen, wie er weiterkomme. Dann fahre er, der Captain, eben allein nach Rokyzan zurück.
    Jakob erzählt den Vorfall Dr. Mandel. Und dann geschieht etwas, das uns alle in Erstaunen setzt und mit Respekt vor amerikanischer Rechtsstaatlichkeit erfüllt. Dr. Mandel meldet die Angelegenheit, Jakob muss vor einem Kriegsgericht aussagen, und der Captain wird in der Folge in Unehren aus der Armee entlassen. Weil er einem Flüchtlingsbuben aus dem Land des besiegten Feindes, der noch dazu noch vor kurzem auf Amerikaner geschossen hat, etwas gestohlen hat. Freilich dürfte er auch noch anderes auf dem Kerbholz gehabt haben. Das Silberzeug verkaufen wir, der Erlös hilft uns über die erste Zeit in Österreich hinweg.
    Die Eltern, Michi und ich beginnen nun die zweite Etappe unserer Reise hinaus aus der heimatlichen Tschechoslowakei und hinein nach Österreich, unser Ziel. Wir wollen auf den Grangler, das Jagdhaus meines Großvaters im Salzburger Lungau. Einer unserer Schicksalsgenossen im Flüchtlingslager ist der Rektor der Prager Technischen Hochschule. Er hat es irgendwie geschafft, ein Auto zu kaufen, darin nimmt er uns mit bis an die Grenze zu Bayern. Ein Glücksfall, denn allein durch das immer noch von antideutschen Ausschreitungen geprägte Westböhmen zu wandern, wäre wenig ratsam gewesen. Der Wagen wird bald von amerikanischen Soldaten beschlagnahmt. Ab da geht es zu Fuß weiter.
    Bayern im Frühling 1945 – eine gesegnete, vom Krieg weithin unberührte Landschaft, in der freilich zahlreiche versprengte, entwurzelte, vertriebene Menschen unterwegs sind. Demobilisierte Soldaten, Evakuierte, die nach Hause wollen, ehemalige Zwangsarbeiter und ehemalige Gefangene. Alle haben kein Geld, alle haben Hunger, alle brauchen ein Nachtlager. Wer weiß, wie heute, in Zeiten des allgemeinen Wohlstands, mit Flüchtlingen und Zuwanderern umgegangen wird, muss rückblickend staunen über die Gelassenheit, mit der die Einheimischen damals auf die Fremden reagiert haben.
    Unsere erste Station ist die Ortschaft Flossing. Die Eltern wissen: Jetzt brauchen wir zuallererst einmal irgendwelche Ausweispapiere. Ohne Papiere ist man verloren, man existiert praktisch nicht, und das einzige Dokument, das wir haben, ist ein amerikanischer Passierschein aus dem Flüchtlingslager. Unser Vater geht also zum Flossinger Bürgermeister, einem biederen Bauern. Dieser ist ein freundlicher Mann, er war Nazi, sagt er, und werde wohl bald von den Amerikanern abgesetzt werden. Aber jetzt verfügt er noch über alle Insignien seines Amtes, Stempel und Formulare. Bereitwillig stellt er uns alle Papiere aus, die wir brauchen: Identitätsscheine, Aufenthaltsbewilligungen, Anweisungen auf Lebensmittelkarten. Papi diktiert ihm unsere Namen und Daten, und der Bürgermeister schreibt sie auf. Er hätte auch jeden beliebigen anderen Namen aufgeschrieben, wenn er ihm diktiert worden wäre. Seine Identität zu wechseln war in jener kurzen Epoche, in der alle Ordnung zusammengebrochen war, nicht schwierig. Nicht wenige werden damals wohl von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben.
    Ausweispapiere haben wir jetzt, aber sonst nichts. Wir sind Bettler. Als solche ziehen wir nun quer durch Bayern,

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