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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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läutenden Glöckchen überall auf den Wiesen stehen. Ihr blödes Gemampfe macht mich nervös. Manchmal stelle ich mich vor sie hin und schreie laut und wütend: blöde Kühe, blöde Kühe. Vorpubertät und Entwurzelung ergeben keine gute Mischung. Ich bin trotzig, desorientiert und unausstehlich.
    Meine Eltern haben sich inzwischen in der neuen Situation eingerichtet. Mami kocht. Sie kann nicht kochen, sie hat nie im Leben auch nur ein Spiegelei gemacht. Aber sie arbeitet nach der Methode learning by doing, Mirl berät sie. Schade nur, dass unsere Lebensmittelrationen so knapp sind, dass ein zerfallender Knödel oder eine angebrannte Suppe nicht weggeworfen werden können, sondern mit Todesverachtung gegessen werden müssen. Aber Mami lernt schnell, bald wird sie eine hervorragende Köchin. Mein Vater geht einkaufen, natürlich zu Fuß, ins acht Kilometer entfernte Mariapfarr. Autobusse gibt es nicht. Das Geld fürs Notwendigste hat uns eine Netzwerk-Bekannte aus der Gegend geliehen.
    Jakob ist inzwischen in Linz gelandet, wo er nach wie vor für die Amerikaner arbeitet. Auch wir lernen die Amerikaner weiter von ihrer besten Seite kennen. Irgendjemand hat unsere Adresse einem amerikanischen Menschenfreund gegeben, der uns nun gelegentlich CARE-Pakete schickt. Er heißt Mister Moore und lebt in Massachusetts, und seine Pakete sind in jener Zeit, als die Lebensmittelrationen vor allem aus getrockneten Erbsen bestehen, ein wahrer Segen. Das Beste: kleine Dosen in grüner Tarnfarbe mit Ham and Eggs, für mich der Inbegriff des Luxus.
    Eines Tages schaut meine Mutter aus dem Küchenfenster und sieht einen deutschen Soldaten des Weges kommen. Wieder einer, sagt sie und schaut nach, ob wir etwas für ihn zu essen haben. Demobilisierte Soldaten, die sich nach Hause durchschlagen und unterwegs um Essen bitten, sind in jenem Jahr keine Seltenheit. Der Soldat öffnet unser Gartentor und siehe da, es ist niemand anderer als unser Hans Heinrich, braungebrannt und gut aufgelegt. Ich hatte schon gehört, dass man vor Freude ohnmächtig werden kann, aber jetzt sehe ich es. Mami, die alle Fährnisse stoisch überstanden hat, klappt zusammen und liegt plötzlich der Länge nach auf dem Küchenboden.
    Wir hatten von meinem Bruder seit Monaten nichts gehört, er war in den Kämpfen in Schlesien, und dass er noch lebte, war alles andere als wahrscheinlich. Sein Regiment, so hören wir jetzt, hatte sich von den Russen abgesetzt und war quer durch Schlesien und Böhmen nach Eger marschiert, um sich dort den Amerikanern zu ergeben. Diese ließen den knapp Achtzehnjährigen sofort frei und schickten ihn nach Hause. Irgendwo traf dieser Flüchtlinge, die mit uns im Rokyzaner Lager gewesen waren und wussten, wohin wir weitergezogen waren. Die Eltern lassen in der Weißpriacher Kirche eine Dankmesse lesen. Alle engen Familienmitglieder heil und gesund durch den Krieg gekommen – was wiegt dagegen, dass Hab und Gut weg sind?
    Als die Sommerferien zu Ende gehen, müssen Michi und ich in die Schule. Michi geht in die Volksschule ins fünf Kilometer entfernte Weißpriach, aber oft genug schafft er den Weg nicht. Unser Jüngster ist blass und dünn und noch ziemlich verstört, er fühlt sich nicht wohl in der fremden Schule. Auf dem Schulweg setzt er sich manchmal einfach in eine Wiese und träumt. Dann klaubt ihn irgendein Vorübergehender auf und liefert ihn wieder auf dem Grangler ab.
    Ich gehe in die Hauptschule in Tamsweg. Ein Gymnasium gibt es damals im ganzen Lungau noch nicht. Tamsweg ist ein nettes Städtchen, unberührt vom Krieg. Die Woche über wohne ich bei drei alten Gräfinnen Khuenburg, die miteinander in einem reizenden kleinen Stadtpalais leben. Ich habe dort ein Zimmer mit grünen Plüschmöbeln und führe mit meinen 13 Jahren das Leben einer alleinstehenden möblierten Dame. Einzelgängerin, die ich bin, taugt mir das nicht schlecht. Am Wochenende gehe ich zu Fuß nach Hause auf den Grangler, 18 Kilometer durch Wald und Feld.
    Aber ich bin ziemlich allein. Enge Freunde und Freundinnen habe ich nicht. Die anderen Kinder in der Schule sind nicht unfreundlich, aber das fremde Flüchtlingsmädchen ist für sie eine Exotin. Sie können mit mir nicht viel anfangen und ich mit ihnen auch nicht. Zu verschieden sind unsere Welten. Ich bin einerseits zu schüchtern und andererseits zu arrogant. Mit meinen Flucht- und Vertreibungserfahrungen komme ich mir unter ihnen vor wie eine Erwachsene unter lauter Kindern.
    Im Schuljahr 1945/46 sind

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