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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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Intellektueller aus großbürgerlichem Haus, der vor dem Krieg ein großer Anhänger und großer Kenner von Karl Kraus war und das Letztere immer noch ist. Er hatte seinen Doktor iuris gemacht und war 1938 seiner jüdischen Herkunft wegen zuerst nach Frankreich und dann nach England emigriert. In Paris wurde er katholischer Priester.
    Zurück in Österreich, hat er es im traditionellen kirchlichen Milieu nicht ganz leicht, in das er passt wie die Faust aufs Auge. Er hat begeisterte Anhänger und sorgenvolle Kritiker. Und oft fragen fromme Kirchgänger, gelegentlich auch mich, ob der kluge Monsignore wohl auch sicher den rechten Glauben hätte. Aber den hat er. Wenn Sammelaktionen anstehen, entwirft er meistens selber die Werbeslogans, oft auf für die damalige Zeit unkonventionelle Weise. Etwa »Caritas ist die Weltanschauung Gottes«. Oder, auf einem Plakat: »Wir schnorren, wo es geht. Wir helfen, wo es nicht mehr geht.« Leopold Ungar erfährt später viele Ehrungen, aber für sein Engagement bezahlt er einen hohen Preis. Ich erschrecke, als ich in einem Nachruf von ihm für seinen Freund, den Historiker Friedrich Heer, den Satz lese: »Du warst ein erhellendes Element in meinem dunklen und frostigen Leben.« Dunkel und frostig? Man hat es ihm nicht angesehen. Aber es wird schon so gewesen sein.
    Des Monsignore zwei wichtigste Mitarbeiterinnen sind kaum weniger bemerkenswert als er. Da ist Ilona Seilern, die für die Auslandsarbeit zuständig ist. In Österreich gibt es noch viel Not und Elend, aber Leopold Ungar hat sich von Anfang an dafür eingesetzt, dass die Caritas auch international tätig wird. Die katholische Kirche ist eine Weltkirche, und die Not der Menschen ist weltweit und kennt keine nationalen Grenzen. Ilona, die Gräfin, hat von irgendwoher ein kleines Einkommen, sie lebt sehr bescheiden mit einer Freundin zusammen, aber sie arbeitet für den symbolischen Lohn von einem Schilling. Sie ist fast ständig unterwegs, im Nahen Osten, in Afrika, sie hilft Flüchtlingslager zu organisieren und treibt Geld auf. Sie ist es, die den Grundstein für eine später sehr große Abteilung legt.
    Die zweite Säule der Caritas ist meine unmittelbare Chefin, das Fräulein Machatschek. Diese ist ein kleines zartes Weiblein, die weißen Haare zu einem ordentlichen kleinen Knoten aufgesteckt. Sie sieht aus wie ein sehr intelligentes Mäuschen, bewegt sich schnell und präzise und ist immer in Aktion. Ihr Lächeln ist entwaffnend. Sie legt Wert auf den Ehrentitel Fräulein. Jeden Tag um Punkt acht Uhr sitzt Fräulein Machatschek an ihrem Schreibtisch, freundlich und effizient, und bleibt dort bis lange nach offiziellem Dienstschluss. Sie organisiert die Nothilfe im Inland, hält Kontakt zu den einzelnen Pfarren, die Caritasaufgaben wahrnehmen, und muss die Ideen umsetzen, die der Monsignore am laufenden Band produziert. Sie macht eine Arbeit, für die sonst gut und gerne drei Leute nötig wären. Ohne sie geht gar nichts. Ich bin ihre Helferin und nehme ihr einen kleinen Teil der Routinearbeit ab.
    Caritasarbeit braucht starke Nerven. Die habe ich nicht. Unsere Caritaszentrale gibt die großen Linien der Sozialarbeit vor. Oft sehen Leopold Ungar und seine Leute früher als andere, welche gesellschaftlichen Veränderungen anstehen, etwa das Drogenproblem bei Jugendlichen oder die Flüchtlingsfrage. Da gibt es große Projekte, die viel Geld kosten. Aber oft kommen auch arme Leute von der Straße herein, die das Türschild Caritas gesehen haben und nun hier und jetzt Hilfe suchen. Am liebsten würde ich dann sagen: Hier ist ein Job, und hier ist eine Wohnung, und hier ist Geld für die Übergangszeit. Passt jetzt alles? Ist jetzt alles in Ordnung? Also dann, adieu und alles Gute. Aber das geht natürlich nicht. Wir können meist nicht viel mehr tun, als die Menschen an andere Stellen weiterschicken. Ich bleibe zurück, verwirrt und beschämt.
    Warum gibt es Reiche und Arme? Was für Strukturen machen unsere Gesellschaft so, wie sie ist? Welche Kräfte wirken auf sie ein? Gibt es Rezepte, das zu ändern? Armut gibt es eben, meint Ilona, die Pragmatikerin. »Die Armen werdet ihr immer unter euch haben«, heißt es schon im Evangelium. Besser, wenigstens einigen von ihnen zu helfen, als dazusitzen und nichts zu tun und sich darüber zu grämen, dass man nicht allen helfen kann. Ja, schon. Aber trotzdem … Ich finde plötzlich mein Dolmetschstudium irrelevant und beschließe, umzusatteln und Soziologie zu studieren. Die

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