Zuhause ist ueberall
auch nicht.
Aber auch in Wien lässt es sich leben. Den Caritas-Job habe ich inzwischen aufgegeben, auf die Dauer kann ich einfach nicht von fünfhundert Schilling und einer Gulaschsuppe leben. Ich finde andere Arbeit, und obwohl ich mit dem Studium immer mehr ins Hintertreffen gerate, halte ich trotzdem daran fest. Ich wiege mich in der Illusion, trotz allem eine Studentin zu sein und nicht nur eine Teilzeit-Bürohilfe. Ich arbeite in einem Reisebüro und hole die ersten Amerikaner, die nach Wien kommen und die Stadt des »Dritten Mannes« sehen wollen, vom Flughafen ab. Ich übersetze für die Firma von Niki Laudas Vater einen Text über Magnesitgewinnung ins Englische. Ich ordne das Archiv des Österreichischen College. Und ich tippe die Radiopredigten und die Korrespondenz eines anderen klugen Monsignore, des Kunstmäzens Otto Mauer.
Dieser ist im Hauptberuf Akademikerseelsorger, aber er interessiert sich für moderne Kunst und gründet bald die Galerie St. Stephan in der Grünangergasse im Zentrum von Wien, die die jungen neuen Maler ausstellt und fördert. Meine schöne Freundin Gertie Fröhlich, selbst Malerin, arbeitet in der Galerie und schleppt ihre Freunde von der Akademie an, Arnulf Rainer, Josef Mikl, Wolfgang Hollegha und Markus Prachensky, den sie später heiratet. Die Galerie heißt nicht lange St. Stephan. Irgendjemand nimmt Anstoß an einer Ausstellung, in der ein Künstler aus der Tschechoslowakei in Pop-Manier den Kaiser Franz Joseph mit einer Schiebermütze zeigt. Das geht nicht in Wien. Bedauernd, aber doch bedeutet der Kardinalerzbischof Franz König dem Akademikerseelsorger, dass dessen Galerie nicht den Namen des ehrwürdigen Schutzpatrons der Metropolitankirche tragen könne. Jetzt ist guter Rat teuer. Schließlich kommt Alexander »Atti« Auer, einem der Organisatoren von Alpbach, die rettende Idee. »Nennt das Ding doch einfach Galerie nächst St. Stephan.« So geschieht’s. Und dagegen hat auch der Kardinal nichts einzuwenden.
Die Fünfzigerjahre sind die Jahre, in denen der Kalte Krieg seinen Höhepunkt erreicht. Meine unpolitischen Freunde und mich interessiert das nur am Rande. Als es wieder einmal zu einer besonders krassen Untat des Sowjetregimes kommt, diktiert Otto Mauer mir einen Brief, in dem er dem Kunstkritiker des Abend , Johann Muschik, den Zutritt zur Galerie verbietet. Der Abend ist eine Abendzeitung, die sich im Besitz der Kommunistischen Partei Österreichs befindet. Er wünsche nicht, den Vertreter einer Organisation, die die Menschenrechte mit Füßen tritt, in seinen Räumen zu sehen, schreibt Mauer. Ich wundere mich. Ich kenne Muschik als einen gutmütigen Mann, dessen Liebe den Malern der sogenannten Wiener Schule des Phantastischen Realismus um Ernst Fuchs gehört. Monsignore, wieso tritt der Herr Muschik die Menschenrechte mit Füßen?, frage ich meinen Chef. Dieser seufzt. Ihr Jungen habt aber auch von nichts eine Ahnung, sagt er. Er hätte gern schnell die Post erledigt, aber er hat sich damit abgefunden, dass er zwischendurch seinen Amateur-Mitarbeitern immer wieder die Welt erklären muss.
Dass die Kommunisten die Bösen sind, ist für uns eine Selbstverständlichkeit, über die man nicht weiter nachdenkt. Sie führen ein Leben weitab der Öffentlichkeit und weitab von meiner Wahrnehmung. Auch die Sozialdemokraten, wiewohl keine Teufel wie die Kommunisten, leben in einer anderen Welt. Österreichische Innenpolitik interessiert meine Freunde und mich nicht im Geringsten. Wir finden das alles todlangweilig. Wir wissen gerade einmal, dass wir von einer großen Koalition regiert werden und dass der Bundeskanzler Julius Raab heißt. Als ich zum ersten Mal wählen darf, wähle ich quasi automatisch die konservative ÖVP.
Interessanter als die österreichischen Parteien ist die amerikanische Besatzungsmacht. Die Amerikaner unterhalten in Wien ein Information Center an bester Adresse, direkt neben dem Hotel Sacher. Ich gehe gern hin und lese dort mit großer Begeisterung den New Yorker . Zum ersten Mal bekomme ich eine Vorstellung davon, was Journalismus sein kann. Die Amerikaner veranstalten auch Ausstellungen, darunter die große Fotoausstellung »The Family of Man«, die weit professioneller aufgemacht ist als alles, was es zu dieser Zeit in Österreich zu sehen gibt. Sie geht durch die Welt, wie auch eine Ausstellung moderner amerikanischer abstrakter Kunst. Die abstrakte Kunst, sagt der realistische Bildhauer Alfred Hrdlicka, hat die CIA, der amerikanische
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