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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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Name meinen Eltern gefallen hat. Er ist der Name eines Erzengels, aber er ist – anders als der alttestamentarische Name Jakob – auch nazitauglich, weil der »deutsche Michel« jetzt eine populäre Figur ist. Manchmal betet mein Vater mit seinem Jüngsten am Abend das alte Kirchengebet »Heiliger Michael, verteidige uns im Kampfe gegen die Bosheiten und Nachstellungen des Teufels. Der Herr gebiete ihm, so bitten wir flehentlich, du aber, o Fürst der himmlischen Heerscharen, stürze mit der Kraft Gottes den Satan und die übrigen bösen Geister, die zum Verderben der Seelen die Welt bedrängen, in die Hölle hinab«. Michi liebt dieses Gebet. Er hat seinen Kopfpolster parat und schleudert diesen an der passenden Stelle, wie der Erzengel Michael den Satan, mit Schwung in die Ecke. Amen, ruft er laut. Das gibt dem Satan endgültig den Rest.
    Außer uns und dem Fräulein leben noch drei tschechische Mädchen bei uns im Haus. Alle kommen aus Breznitz, dem Heimatort meiner Mutter. Diese hat sie nach ihrer Heirat in die Stadt mitgebracht. Was drei Hausangestellte in einem relativ bescheidenen Haushalt wie dem unseren eigentlich den ganzen Tag zu tun haben, ist nicht recht klar. Wir haben später oft darüber gerätselt. Aber meine Mutter ist von zu Hause viel Personal gewöhnt und denkt, das müsse so sein. Emilka und Mařenka sind Schwestern. Emilka soll kochen und Mařenka ihr dabei helfen und putzen. Márinka, die eigentlich auch Mařenka heißt, aber wegen der Verwechslungsgefahr Márinka genannt wird, kann schneidern und soll sich um unser aller Garderobe kümmern und die Kinderkleider machen. Emilka ist klein und rund, Márinka ist groß und schön. Sie wohnen im Dachgeschoss. Wir können sie alle gut leiden und lernen von ihnen die schönen tschechischen Volkslieder, die sie manchmal bei der Arbeit singen. Mein liebstes ist das traurige vom Klee und von Janek, der eines Tages erschlagen im herrschaftlichen Kleefeld am Bach liegt. »Jetel, ten jetel, jetelíček u vody« – der Klee, der Klee, dieses Kleechen am Wasser.
    Unser Haus ist in den Zwanzigerjahren gebaut worden. Onkel Hansi, der wohlhabende Bruder meines Vaters, hat es diesem geschenkt, als die Kinder kamen. Es ist ein recht konventionelles Haus, gelb gestrichen, eine sogenannte Villa. In Prag heißt jedes Einfamilienhaus Villa. Unseres ist leider weit entfernt von den kubistischen Villen im Stil der klassischen Moderne, von denen es in der Hauptstadt der Tschechoslowakei viele gibt. Aber es hat einen Garten mit einer Wiese, auf der ein Kirschbaum steht, mit ein paar Rosenbeeten und drei Birken rund um eine Sandkiste. Der Kirschbaum trägt gelbe Kirschen, die sehr gut schmecken. Der ganze Stolz meiner Mutter ist der sogenannte Border, ein Blumenbeet, in dem immer irgendetwas blühen soll. Meine Mutter werkt mit Hingabe an diesem Border herum. Sie ist eine begeisterte, allerdings nicht immer erfolgreiche Gärtnerin.
    Im Garten wohnt auch unsere Schildkröte. Die Buben haben sie einmal mit Ölfarben angemalt, jedes Viereck in ihrem Panzer in einer anderen Farbe. Es sieht sehr schön aus, wenn sie sich gravitätisch durch das Gras bewegt, ein mobiles Kunstwerk. Wenn sie Gefahr wittert oder ihr etwas nicht gefällt, zieht sie Kopf und Beine ein und verbarrikadiert sich in ihrem Panzergehäuse. Muss kuschlig sein da drinnen, denke ich mir. Aber eines Tages ist die Schildkröte plötzlich weg. Ist sie weggelaufen? Ist sie in irgendeinem Versteck gestorben? Hat ihr womöglich die Bemalung geschadet? Wir erfahren es nie, und ihr Verschwinden macht mir lange Zeit große Sorgen.

»Ein Böhme deutscher Zunge«
    Unser Haus liegt am Fuß des Weißen Berges am Stadtrand von Prag. Die Gegend ist ein ruhiges Villenviertel, wobei eigentlich nur ein Haus darin die Bezeichnung Villa wirklich verdient. Es ist ein riesiges, palastartiges Gebäude mit Säulen und einem großen Garten, das hinter unserem Haus liegt. Es gehört dem Millionär Belada, einer geheimnisumwitterten Figur, die wir nie sehen. Wo wohnst du?, fragen mich die großen Brüder. Die korrekte Antwort darauf lautet: Nad Bud’ánkami Nummer fünf, Smíchov, Prag, Tschechoslowakei, Europa, Erde, Universum.
    Wenn Michi und ich mit dem Fräulein spazieren gehen, führt unser Weg oft hinauf in Richtung Weißer Berg. Dort, das wissen wir, fand einst die Schlacht am Weißen Berg statt, an die heute noch ein kleines Kapellchen erinnert. Der Weg führt an einem aufgelassenen Steinbruch vorbei, der mit allerhand

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