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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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mutet sie einiges zu. Als die nächste Bundespräsidentenwahl ansteht, stellt die Sozialistische Partei den parteilosen Diplomaten und praktizierenden Katholiken Rudolf Kirchschläger auf. Während des Wahlkampfs findet irgendjemand heraus, dass dieser berufsbedingt einmal Mitglied des ÖAAB war, der Arbeitnehmerorganisation der ÖVP. In der Redaktion der AZ herrscht Konsternation. Ist der Kandidat der SPÖ womöglich ein halber Schwarzer? Das kommt davon, wenn man jemanden aufstellt, der nicht im eigenen Stall großgeworden ist! Niemand will die peinliche Enthüllung kommentieren. Ich finde die Sache nicht so schlimm. Schließlich haben die österreichischen Sozialdemokraten mit dem k.u.k. General Theodor Körner als Bundespräsidenten schon einmal gute Erfahrungen gemacht, sage ich. Und die deutschen mit dem Liberalen Gustav Heinemann. Meine Kollegen bleiben skeptisch. Aber sie sagen: Na gut, dann schreib das halt. Und ich schreibe zum ersten und einzigen Mal im Zentralorgan der SPÖ einen innenpolitischen Leitartikel. Rudolf Kirchschläger wird einer der angesehensten Präsidenten der Zweiten Republik.
    1974 bricht Bruno Kreisky zu einer Fact Finding Mission in den Nahen Osten auf. Er tut das als Vertreter der Sozialistischen Internationale. Die Siebzigerjahre sind das »sozialdemokratische Jahrzehnt«, und das Dreigestirn Willy Brandt aus der Bundesrepublik Deutschland, Olof Palme aus Schweden und Bruno Kreisky aus Österreich genießt in ganz Europa Respekt. Wenn die Sozialistische Internationale versucht, im seit Jahr und Tag festgefahrenen Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern vermittelnd tätig zu werden, wird das weltweit mit Interesse verfolgt. Ich darf als Berichterstatterin der Arbeiter-Zeitung die Reise mitmachen.
    Dass die Sozialdemokraten Nahostpolitik machen, interessiert viele Österreicher. Aber noch viel mehr interessiert sie die Tatsache, dass Kreisky, der Anführer der Mission, jüdischer Herkunft ist. Seit seinem ersten Wahlsieg ist diese Herkunft Thema an allen Stammtischen des Landes. In der Öffentlichkeit wird nicht allzu viel davon gesprochen, aber umso mehr im Wirtshaus, im Betrieb, in der Familie. Einen burgenländischen Bauern habe ich einmal äußern gehört: Die einen sagen, er is a Saujud. Und die andern sagen, er tut was fürs Volk. Wie soll ich mich da auskennen? Und ein Wiener Heurigenwirt meinte, halb anerkennend, halb resigniert: Diese Leut – gemeint waren die Juden – haben halt ein dreitausend Jahre älteres Hirn als wie mir.
    Kreisky selbst macht kein Hehl aus seiner Herkunft, aber er mag es nicht, wenn er, von Antisemiten wie von Philosemiten, darauf reduziert wird. Er will von den einen nicht in die jüdische Ecke geschoben und von den andern nicht vereinnahmt werden. Er will nicht »der Jud vom Ballhausplatz« sein. Ich bin der österreichische Bundeskanzler, sagt er. Das reicht. Und im Fall der Nahostmission der Vertreter der Sozialistischen Internationale. Ich gehe ihm vermutlich auf die Nerven, als ich beim Anflug auf Jerusalem von ihm wissen will, ob der erste Besuch in dieser Stadt für ihn etwas Besonderes ist. Für mich, die ich schon in Israel war, ist das »Heilige Land« etwas sehr Spezielles und Jerusalem, die Stadt der Propheten und die Stadt Jesu, schon gar. Aber Kreisky winkt ab. Die Klagemauer und der Felsendom sind Sehenswürdigkeiten, sagt er. Wie das Kolosseum oder die Pyramiden. Nicht anders. Aber irgendwann auf dieser Reise meint er doch, zu mir gewandt: Was glauben Sie, weshalb ich mir das Ganze überhaupt antue? Offenbar deshalb, weil er nicht will, dass es in dieser Region eines Tages womöglich einen zweiten Holocaust gibt.
    Seine jüdische Herkunft verfolgt ihn während der ganzen Reise. Auf der arabischen Seite machen die Menschen, die Politiker wie die Leute auf der Straße, soweit wir Journalisten mit ihnen zu tun haben, kein Geheimnis aus ihrer Genugtuung, dass ausgerechnet ein jüdischer Politiker Verständnis für ihre Sache zeigt. Ein Taxler in Kairo ist ganz begeistert von »Mister Kraxi«. In Israel ist es umgekehrt. In Tel Aviv meint ein Kellner, als er erfährt, dass wir in Kreiskys Gefolge reisen, entrüstet: Euren Kreisky könnt ihr behalten. Einer von uns, und küsst den Arafat!
    Auslandsreisen mit Kreisky sind für die mitreisenden Journalisten immer auch Bildungsreisen. Ich finde eine Tagebuchnotiz von einem Kreisky-Staatsbesuch in Belgrad aus dem Jahr 1980. »Das in Belgrad akkreditierte ausländische Pressecorps, das

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