Zuhause ist ueberall
bei der Schlusspressekonferenz auch dabei war, konnte gar nicht genug kriegen. Kreiskys Pressekonferenzen sind ja längst keine bloßen Pressekonferenzen mehr, sondern Erzählungen eines sehr gescheiten, sehr erfahrenen und sehr witzigen alten Mannes aus einem Leben voll Politik. Plötzlich fragen die Reporter nicht mehr nach den aktuellen Themen in Sachen Staatsbesuch, sondern nach Kreiskys Meinung zu allem, was interessant ist. Und sie bekommen auch keine diplomatischen Nullachtfünfzehn-Antworten, sondern ehrliche Überlegungen und freimütige Aperçus, eine Art politischen Nachhilfeunterricht.
Über die jugoslawische Minderheitenpolitik: Sie tun das nicht, um uns zu sekkieren, sondern der Zusammenhalt dieser vielen Völker ist die Existenzgrundlage dieses Staates, etwas, an dem das alte Österreich gescheitert ist. Über den amerikanischen Boykott der Olympischen Spiele in Moskau: Man kann nicht zuerst einer Olympiade in einem kommunistischen Land zustimmen und dann fragen: Mama, was ist ein Leutnant? Über Indira Gandhi: Sie hat unseren Freund Fernandez eingesperrt, aber wenn ich nicht so ein unverbesserlicher Demokrat wäre, hätte ich ihn auch eingesperrt.
Irgendwann wird jemand auch einmal über Kreisky als Erzieher schreiben müssen – als Erzieher einer ganzen Generation von Journalisten, Diplomaten, Beamten, Funktionären, die von ihm den politischen Fundus der Zwischenkriegszeit vermittelt bekommen hat. In Österreich, wo ja eine ganze Generation ausgefallen ist – durch Krieg, KZ, Emigration –, fehlt den Jüngeren weitgehend die Bildungstradition jener Zeit. Die Welt der Arbeiterbewegung, aber auch die Welt von Mahler und Wittgenstein, Freud und Reich, Schlick und Schumpeter. All das sind Dinge, die man in Büchern nachliest, aber gemeinhin kaum durch lebendige Menschen tradiert bekommt. Kreisky hat hier die Funktion des Missing Link übernommen.« So weit mein Tagebuch.
Irgendwann trete ich übrigens doch der SPÖ bei. Ich bin keine besonders militante Feministin, aber als Kreisky gleich vier Frauen als Staatssekretärinnen in die Regierung holt und sein Justizminister Christian Broda die Abschaffung des berühmten Paragraphen 144 durchsetzt, finde ich, dass das belohnt gehört. Der Paragraph 144 ist das Verbot der Schwangerschaftsunterbrechung. Seit Jahrzehnten hat die Frauenbewegung dagegen gekämpft. Seit Jahrhunderten haben die Frauen darunter gelitten. Es gibt erbitterten Widerstand gegen seine Abschaffung, vor allem von der katholischen Kirche. Meiner Kirche. Ich werde demonstrativ SPÖ-Mitglied.
Allerdings nicht für lange. Nach Kreiskys Ablösung an der Spitze der Partei droht die sozialdemokratische Führung der Bauarbeitergewerkschaft, gegen die jungen Leute auszurücken, die in der Hainburger Au gegen ein neues Wasserkraftwerk an der Donau demonstrieren. Sie sind Studenten und Umweltaktivisten, die Vorläufer der Grünen. Arbeiter gegen Intellektuelle aufbieten – das ist von jeher ein probates Mittel in Diktaturen, nicht zuletzt in denen des Ostblocks. Ich bin wütend. Und als die SPÖ-Zentrale meinen Mitgliedsbeitrag einmahnt und mich wissen lässt, dass ich bei Nichtzahlung ausgeschlossen werde, schreibe ich zurück: Bitte sehr, nur zu. Ich wähle noch manchmal SPÖ, aber von Parteimitgliedschaften aller Art bin ich ein für alle Mal geheilt.
Die Liebe meines Lebens
Wir sitzen in Georg Eislers Zimmer und hören zu, wie auf dem Grammophon »Die Maßnahme« gespielt wird, die Oper von Hanns Eisler und Bert Brecht. Es ist eine seltene Aufnahme, der Komponist singt den Part des bösen chinesischen Kapitalisten selbst. »Ich weiß nicht, was ein Mensch ist, ich kenne nur seinen Preis«, intoniert er, hochmusikalisch, mit ein wenig krächzender Stimme. Hanns Eisler ist der Vater unseres Gastgebers. Spiel noch einmal den krächzenden Vater, sagt Alfred Hrdlicka, der auch manchmal dabei ist. Wir können nicht genug kriegen vom krächzenden Vater. Auch das »Einheitsfrontlied« gibt es in dessen Gesangsversion. »Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum braucht er was zum Essen, bitte sehr!« Und das »Solidaritätslied«: »Vorwärts und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht! Beim Hungern und beim Essen, vorwärts und nie vergessen: die Solidarität!« Agitprop vom Feinsten.
Hochzeit von Rudi und Gilli Schönwald – von links: Alfred Hrdlicka, Rudi Schönwald, Peter Kubelka, Gilli, Markus Prachensky, Georg und Alice Eisler, 1966
Gillis Freund und späterer Ehemann Rudi
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