Zuhause ist ueberall
geschrieben. »Österreich hat selbst Krieg und fremde Besatzung erlebt. Die Herausgeber sind der Meinung, daß der 26 Jahre währende Kampf eines anderen kleinen Volkes um seine Selbstbestimmung der aktiven Solidarität aller anständigen Menschen und vor allem aller Sozialisten bedarf.« Und siehe da, Kreisky, der wenig später den US-Präsidenten in Österreich empfangen wird, gibt uns sein Imprimatur. Das ist in Ordnung, meint er. Als wir weggehen, habe ich das Gefühl: Der versteht uns. Und Peter Kreisky, der mit seinem Fahrrad ständig unterwegs ist, um Texte, die ihm wichtig sind, unter die Leute zu bringen, fängt gleich mit dem Verteilen an.
Bruno Kreisky schafft es, mit den verschiedensten Menschen verschiedenster politischer Richtungen ein Einvernehmen zu finden, ohne seinen eigenen Standpunkt zu verlassen. Diese Kunst, scheint mir, ist das Geheimnis seiner absoluten Mehrheiten. Er kann, was die meisten seiner Parteifreunde nicht können: Parteigrenzen überspringen, die Werte und Traditionen anderer verstehen und respektieren und, von diesen ausgehend, Gemeinsamkeiten finden. Diplomaten, die ihm vorgestellt werden, erzählen, dass er bei diesen Gelegenheiten stets fragt, ob der Betreffende während oder nach Kreiskys Zeit im Außenministerium eingestellt worden ist. Im ersteren Fall sagt er nach alter Außenamt-Tradition Du, sonst Sie. Menschen, die Wert auf Manieren alter Schule legen, schätzen das.
Beim Forum Alpbach in Tirol habe ich Burschenschafter aus dem Ring Freiheitlicher Studenten getroffen, militante Deutschnationale. Einige von ihnen verließen später mit der freiheitlichen Politikerin Heide Schmidt die FPÖ und gingen zu dem von dieser gegründeten Liberalen Forum. Auch sie waren von Kreisky beeindruckt. Er hatte mit ihnen über die bürgerliche Revolution von 1848 diskutiert, dem gemeinsamen Ausgangspunkt für Sozialisten, Liberale und Nationale. Und Kreisky, überzeugter Agnostiker, sucht auch den Kontakt mit dem Wiener Erzbischof Kardinal Franz König, einem aufgeschlossenen Christen, der als erster Kirchenfürst eine Rede vor dem österreichischen Gewerkschaftsbund hält. KKK sagt man damals und meint das Trio Kreisky-König-Kirchschläger. Der Letzte ist Bundespräsident, ein Parteiunabhängiger, der von der SPÖ aufgestellt worden war.
1976 begeht mein Onkel Richard Coudenhove-Kalergi den fünfzigsten Jahrestag des ersten Paneuropäischen Kongresses in Wien. Das war damals, im Jahr 1926, ein recht spektakuläres Ereignis, Spitzenpolitiker mehrerer bis vor kurzem verfeindeter Nationen waren dabei und hielten Reden. Inzwischen ist die Paneuropa-Union bedeutungslos, aber es gibt sie noch immer. Onkel Dicky will anlässlich des Jubiläums den Vorsitz der Organisation an Otto von Habsburg übergeben. Er ist kein Monarchist, aber er schätzt Otto Habsburgs europäische Orientierung. Und Bruno Kreisky erkennt sofort: Das ist die richtige Gelegenheit, um das leidige Habsburg-Trauma zu beenden, das fast sechzig Jahre nach dem Ende der Monarchie immer noch das Klima in der Gesellschaft beeinflusst. Viele Sozialdemokraten hassen die Habsburger aus tiefstem Herzen. Und für viele konservative Habsburg-Anhänger sind Sozialisten, jüdische noch dazu, nach wie vor des Teufels.
Ich bin auch eingeladen, als es im Bundeskanzleramt zum »historischen« Handschlag zwischen Bruno Kreisky und Otto Habsburg kommt. Es wird nicht viel geredet dabei, aber niemand tritt in ein Fettnäpfchen, und das Wichtigste ist erreicht: ein Foto, das fortan das sichtbare Zeichen der Versöhnung des modernen Österreich mit seiner Geschichte ist. Dass diese vor einer paneuropäischen Kulisse geschieht, nimmt dem Ereignis die Schärfe. Die Paneuropa-Union ist eine respektable Adresse, liberal-konservativ, anti-nazistisch, international, Kreisky war als Jugendlicher selbst einmal dabei. Auf diesem Boden kann man sich treffen.
Und als im Club 2, der wichtigsten Diskussionssendung des österreichischen Fernsehens, Kreisky auf Ottos Sohn Karl trifft, findet er in der heiklen Frage der Anrede wiederum eine salomonische Lösung. Herr Habsburg? Das würde die Konservativen ärgern. Kaiserliche Hoheit? Eine Provokation für Sozialdemokraten. Karl Habsburg leistet gerade seinen Dienst beim Bundesheer ab. Kreisky nennt ihn folgerichtig »Herr Fähnrich«. Damit können sowohl unverdrossene Monarchisten wie militante Republikaner leben.
Diese liberale Breite gefällt vielen Außenstehenden, aber den sozialistischen Kernschichten
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