Zuhause ist ueberall
und Feinde. Die KPÖ existierte unter dem Schutzmantel der sowjetischen Besatzungsmacht, was ihre Unbeliebtheit noch steigerte. Nach dem Staatsvertrag und dem Abzug der Besatzungsmächte fiel dieser Schutzmantel weg. Der blutig niedergeschlagene Ungarnaufstand tat ein Übriges, um die verhasste »Russenpartei« endgültig zu isolieren.
Und jetzt stehen deren Mitglieder quasi unter Quarantäne. Was sie auf intellektuellem Gebiet treiben, wird nicht zur Kenntnis genommen. Der Schriftsteller Friedrich Torberg hat durchgesetzt, dass Bert Brecht auf österreichischen Theatern nicht gespielt wird. Die Scala, das Theater, das der KPÖ gehört, besucht man nicht, obwohl dort immer wieder großartige Aufführungen stattfinden. Einmal kommt Brecht selbst nach Wien, um »Mutter Courage« auf die Bühne zu bringen, praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Berühmte Scala-Schauspieler wie Karl Paryla und Otto Tausig haben später lange keine Chance an anderen Theatern. Sie sind Publikumslieblinge und leidenschaftliche Wiener, aber sie haben nach der Schließung der Scala keine andere Wahl, als nach Deutschland zu gehen. Und Ernst Fischer, der bekannteste Intellektuelle der Partei und nach 1945 in der ersten Regierung Renner Unterrichtsminister, ist in der österreichischen Öffentlichkeit eine Unperson.
Es gibt noch einen Grund, warum die Kommunisten in jenen Jahren eine Art geschlossenes Biotop bilden: Die Intellektuellen unter ihnen sind fast ausschließlich Juden. Viele österreichische Emigranten wären nach Kriegsende gern in die nunmehr von der Naziherrschaft befreite Heimat zurückgekehrt. Sie merkten aber schnell, dass sie dort nicht willkommen waren. Das Land war arm, die Ressourcen waren knapp. Die österreichische Regierung hatte wenig Interesse an einer Rückflut vertriebener Juden. Eine Menge Leute, die ihr gestohlenes Eigentum zurückhaben wollen, ihre arisierten Wohnungen, ihre Positionen? Und womöglich Genugtuung und Bestrafung der Schuldigen verlangen? Eine Horrorvorstellung. Schwer zu finanzieren und ein Schlag ins Gesicht für die Riesenschar von ehemaligen Nazis, deren Wählerstimmen die politischen Parteien jetzt dringend brauchten. Besser, ihr bleibt, wo ihr seid, wurde den Rückkehrwilligen bedeutet, nicht zuletzt von der SPÖ. Bundespräsident Renner begründete die Errichtung eines gemeinsamen Restitutionsfonds mit der Notwendigkeit, »ein massenhaftes, plötzliches Zurückfluten der Vertriebenen zu verhüten (ein Umstand, der aus vielen Gründen sehr zu beachten ist)«.
Kundgebung der KPÖ zum 1. Mai 1949 vor dem Wiener Parlament: Franz Marek (dritter von links), Ernst Fischer (heller Mantel, Mitte), Johann Koplenig (rechts daneben), Friedl Fürnberg (vierter von rechts)
Einzig die KPÖ tat alles, um ihre Leute zurückzuholen. Es gab eine Weisung an die emigrierten Mitglieder: Zurückkommen und in der Heimat den Sozialismus aufbauen! Mancher, der sich in der Fremde schon eine Existenz geschaffen hatte, wäre lieber dort geblieben und trat aus Parteidisziplin die Rückreise an. Auch Franz wäre gern in Frankreich geblieben. Aber Parteiauftrag war Parteiauftrag. Und so bildet man nun nolens volens eine geschlossene Gruppe, auf sich selbst zurückgeworfen. Man kennt einander, verkehrt miteinander, streitet miteinander und hat wenig Kontakte mit der Außenwelt. Die KPÖ ist eine Art Reservat des ansonsten verschwundenen Wiener jüdischen Bildungsbürgertums der Vorkriegszeit.
Erst in den Sechzigerjahren beginnt das Eis langsam zu schmelzen. Die neue junge Linke sucht zögernd Verbindung mit der alten Linken. In der Kommunistischen Partei regen sich nach der Geheimrede Nikita Chruschtschows über die Verbrechen Stalins die Kräfte, die für eine Aufarbeitung der Vergangenheit und für eine Wiederentdeckung demokratischer Werte eintreten. In Wien entsteht die Paulus-Gesellschaft, die Diskussionen zwischen Christen und Marxisten veranstaltet. Günther Nenning, Sozialdemokrat und Chefredakteur der Zeitschrift Forum , ist der Spiritus Rector. Das Forum , einst von Friedrich Torberg als leidenschaftlich antikommunistische Monatsschrift gegründet, ist jetzt ein Sprachrohr der neuen Linken. An den Paulus-Dialogen nehmen von der katholischen Seite unter anderen die Theologen Karl Rahner und Johann Baptist Metz teil, von der kommunistischen der Franzose Roger Garaudy und der Österreicher Franz Marek.
Für mich ist all das neu und interessant. Ich habe seit meiner Klosterschulzeit einen Weg hinter mich
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