Zuhause ist ueberall
nach Wien und macht beim österreichischen Fernsehen Karriere.
Das Spektrum der Kommunisten der Sechzigerjahre ist bunt und vielfältig. Es gäbe Stoff für Soziologen ab. Franz Marek könnte vom Typ her von seinen italienischen Nobel-Genossen nicht verschiedener sein. Aber sein selbstloses Charisma wirkt auch auf meine Mutter, eine Frau, die geistig von einem anderen Planeten stammen könnte. Mami, die Überkritische, mag ihn auf Anhieb. Wenn sie uns in Wien besuchen kommt, lässt sie sich von ihm die Welt auf Marxistisch erklären. Aber sie denkt an meinen Vater und seufzt: Ach Gott, warum bist du nicht ein katholischer Fürst?
Wir sagen Papi nicht, dass wir geheiratet haben, aber er erfährt es doch. Ausgerechnet aus dem Almanach de Gotha, dem Adelslexikon, in dem alle Eheschließungen verzeichnet werden. Angeblich soll er daraufhin geäußert haben: Die Juden sollen Operettenlibrettos schreiben, das können sie, aber nicht meine Tochter heiraten. Ich bin ab sofort böse und rede jahrelang nicht mit meinem Vater. Erst nach Mamis Tod kommen wir wieder zusammen. Papi lebt nun in Wien, in der Familie meines Bruders Jakob. Jeden Sonntag hole ich ihn zum Mittagessen ab. Wir reden über Gott und die Welt, das heikle Thema meiner Ehe berühren wir nicht. Aber irgendeinmal sagt Papi: Es ist ja nur, weil mich niemand gefragt hat. Da bin ich gerührt und denke: Damit hat er ja auch wieder recht.
Siebzigster Geburtstag von Barbaras Vater Gerolf, 1966
Ein katholischer Fürst ist Franz wahrhaftig nicht, sondern das vierte Kind armer jüdischer Zuwanderer aus Galizien, aufgewachsen auf der Wiener »Mazzesinsel«, sieben Leute in Zimmer, Küche, Kabinett. Ab seinem Eintritt in die illegale Kommunistische Partei lebte er unter einem Decknamen. Warum hast du dir diesen faden Namen Marek ausgesucht und nicht etwas Interessanteres wie Willy Brandt?, frage ich ihn. Es musste schnell gehen, sagt Franz, ich brauchte einen falschen Pass. Wir sind gerade an einem Greißlergeschäft am Salzgries vorbeigegangen, und das hieß Marek. Also heißt der Genosse Feuerlicht jetzt Marek.
Den Namen Marek hat übrigens Rudi Dutschke im Gedenken an Franz für seinen zweiten Sohn als Vornamen bestimmt (der erste heißt Hosea Che, nach dem Propheten und dem Revolutionär; dieser Mann liebt große Vorbilder). Dutschke haben wir in Berlin kennengelernt. Franz ist zu jener Zeit viel unterwegs, er wird von allerhand linken Gruppen eingeladen. Der junge Rudi Dutschke, damals vielbewunderter Studentenführer, mit seiner heiseren Stimme und seiner verhaltenen Leidenschaft, schließt sich sofort an Franz an. Er erkennt in dem Älteren offensichtlich einen verwandten Zug. Immer wieder ruft er in Wien an, verlangt Franz und sagt, er wolle »nur mal quatschen«. Dutschke stirbt zu Weihnachten 1979, ein halbes Jahr nach Franz; sein Sohn Marek kommt erst nach seinem Tod zur Welt.
Ich lasse mir von Franz liebend gern von dessen Kindheit im Wiener Ostjudenmilieu erzählen. Wie zu Yom Kippur die Praterwirtshäuser, vor allem der »Walfisch«, zu Bethäusern umfunktioniert werden, weil die regulären Synagogen nicht reichen. Wie die Großmutter, die noch die Pogrome in Russland erlebt hat, nachts Albträume hat, wähnt, ihr Lieblingssohn werde ermordet, und laut ruft: Man harget Nathan! Wie die Buben Löcher in den Zaun des Fußballplatzes bohren, um zuschauen zu können, wenn der jüdische Club Hakoah spielt. Wie zu Hause, wenn ausnahmsweise einmal Geld da ist, sofort Bücher gekauft werden, gebrauchte Gesamtausgaben von Goethe und Heine. Franz’ Geschwister haben alle den Holocaust überlebt, Bruder Yitzchak als Universitätsprofessor und Schwester Netti als Oberärztin in den USA, Franz’ Zwillingsschwester Lotti in einem Kibbuz in Israel.
Als guter Kommunist ist Franz schon früh aus der Israelitischen Kultusgemeinde ausgetreten, aber er hat als Kind vorschriftsmäßig Hebräisch gelernt und seine Bar Mitzwa gemacht. Das kommt ihm zugute, als die Kinder der Wiener assimilierten jüdischen Kommunisten in den Siebzigerjahren plötzlich ihr Judentum entdecken und die jüdischen Feiertage halten wollen. Ihre Eltern, seit mindestens zwei Generationen dem religiösen Judentum entfremdet, haben keine Ahnung, wie das geht. Noch ist es lange nicht so weit, dass die Israelitische Kultusgemeinde in Wien sichtbar und selbstbewusst auftritt und jüdisches Gemeindeleben wieder öffentlich stattfindet. Auch unsere Freunde Peter und Lotte Smolka sehen sich eines Tages mit
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