Zuhause ist ueberall
Taktik, von diesen immer zu wenig zu machen, damit sie den Gästen umso delikater erschienen. Meine Schwiegermutter, sagt Lou, hat nie im Leben Krautfleckerln gemacht. Sie war eine Dame, sie hatte natürlich eine Köchin.
Die Fischers haben wegen des Kommunistenboykotts außer uns nur wenige österreichische Freunde. Die Schriftstellerin Hilde Spiel und ihr Mann Hans Flesch-Brunningen, beide Remigranten aus England, gehören dazu und der Zukunftsforscher Robert Jungk mit seiner Frau. Hilde Spiel teilt Lous Abneigung gegen Friedrich Torberg, auch er ein Jugendfreund, der sie in seinem Forum wegen ihrer Kommunistenfreundlichkeit manchmal angreift und sie dabei boshafterweise »Hulda Spitz« nennt. Wir essen sonntags öfters alle miteinander im Wirtshaus »Zur schönen Aussicht« auf dem Döblinger Pfarrplatz zu Mittag. Einmal kommt Elias Canetti, der kurz in Wien ist und Ernst von früher kennt, dazu. Der kleine Mann, später mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet, sitzt unter einem großen Kastanienbaum, heftig Funken schlagend, polemisierend und diskutierend. Wenige Wochen später trifft ein Blitzschlag den Kastanienbaum und spaltet ihn in der Mitte entzwei. Passt irgendwie zu Canetti, sagt Lou.
Die Fischers sind Nobel-KP. Sie sind nicht reich und wohnen, nachdem die Prater-Villa abgerissen worden ist, in einer biederen Gemeindewohnung. Trotzdem kommen Lous Allüren bei den meisten Wiener Kommunisten nicht gut an. Diese pflegen einen bescheideneren Lebensstil. Ihr größter Luxus ist eine Dauerkabine im städtischen Strandbad Gänsehäufel. Dieses Inselbad mit seinen großen Wiesen und seinen Turmbauten aus den Zwanzigerjahren ist ein Relikt des Roten Wien. Eine proletarische Idylle. An Sommersonntagen sieht man am Weststrand, wo die Stammgäste ihre Kabinen haben, viele Badegäste mit der Arbeiter-Zeitung in der Hand, neben sich die eingepackten Schnitzel und den Gurkensalat im Einmachglas. Und gar nicht wenige mit der Volksstimme , der Tageszeitung der Kommunisten. Georg Eisler nennt die Zeile mit den Dauerkabinen »die Straße des Grundmandats«.
Hier residieren Herbert Steiner, der Gründer des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, Poldi Spira, ehemaliger Spanienkämpfer, Kurt Regner, der Parteianwalt, mit ihren Familien und etliche andere. Oft sieht man im Gänsehäufel auch den Nationalökonomen Kurt Rothschild, ebenso gelehrt wie charmant, der es erst spät im Leben zu der Universitätsprofessur bringt, die er längst verdient hätte, und dessen Kollegen Teddy Prager, Wirtschaftsexperte bei der Wiener Arbeiterkammer.
Auch Toni Lehr hat eine Dauerkabine. Sie ist eine Wiener Großbürgerstochter, die als junge Frau nach Berlin ging und dort enge Mitarbeiterin von Georgi Dimitroff in der Kommunistischen Internationalen wurde. Sie emigrierte rechtzeitig nach Frankreich und arbeitete dort an exponierter Stelle in der Résistance, zeitweise zusammen mit Franz. Eine Zeitlang betrieb sie in Südfrankreich ein Restaurant. Die Partei schickte sie während des Krieges zurück nach Wien, wo sie unter falschem Namen, getarnt als elsässische Zwangsarbeiterin, Untergrundarbeit leistete. Sie flog auf, kam nach Auschwitz und Ravensbrück, überlebte knapp. Sie schaffte es in einem Todesmarsch nach Westen, um nach ihrer Befreiung zu erfahren, dass ihr Lebenspartner von der Gestapo hingerichtet worden war. Nachher war sie jahrelang die rechte Hand der österreichischen Parteiführung.
Franz Marek im Strandbad Gänsehäufel in Wien
Toni ist eine lustige Person, eine hervorragende Köchin und lacht gern. Auf Außenstehende macht sie den Eindruck einer Frau, die keine Sorge auf der Welt hat. Toni, wie hast du das alles überstanden?, frage ich sie. Ach weißt du, sagt diese, ich hab ja gewusst, auf was ich mich einlasse und warum. Am schlimmsten war das Lager für die ganz Jungen und für die, die überhaupt nicht gewusst haben, wieso sie auf einmal von heute auf morgen aus einem normalen Leben in die Hölle gestoßen worden sind. Jetzt lädt Toni jedes Jahr einige ihrer ehemaligen Mitgefangenen zu sich nach Wien ein, Französinnen, Polinnen, Belgierinnen. Die alten Damen, die Auschwitz-Nummer auf dem Unterarm, sitzen im Gänsehäufel auf der Terrasse, trinken Kaffee, plaudern und spielen Bridge.
Die Sechzigerjahre sind auch für die Wiener Gänsehäufel-Kommunisten eine Zeit der Hoffnung und des Optimismus. Franz Marek hat es geschafft, im Politbüro der kleinen KPÖ eine Mehrheit zu organisieren,
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