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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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die sich voll hinter das tschechoslowakische Experiment des »Sozialismus mit menschlichem Gesicht« stellt. Jetzt sucht er Verbündete in den anderen westeuropäischen kommunistischen Parteien, vor allem in der Kommunistischen Partei Italiens. Die KPI ist die größte kommunistische Partei Westeuropas. Unter ihrem neuen Vorsitzenden, dem sardischen Grafen Enrico Berlinguer, strebt sie einen »historischen Kompromiss« an, der die jahrzehntelange unversöhnliche Spaltung des Landes zwischen Christdemokraten und Kommunisten überwinden soll. Viele hoffen damals auch für das gespaltene Europa auf einen solchen historischen Kompromiss: mehr Demokratie im Osten, mehr soziale Gerechtigkeit im Westen.
    Franz hat viele Freunde unter den italienischen Kommunisten. Einer von ihnen ist der Historiker Ernesto Ragioneri, Abgeordneter und Mitglied des Zentralkomitees der KPI. Wir verbringen ein paar Ferientage bei ihm und seiner Familie in Florenz. Und ich muss wieder einmal staunen, denn die Ragioneris sind das, was ich mir immer unter einer typischen italienischen Bildungsbürgerfamilie vorgestellt habe. Jeden Sonntag gehen alle, Vater, Mutter und zwei halberwachsene Kinder, zur Nonna, der Großmutter, mittagessen. Pünktlich wie das Amen im Gebet. Ernestos Frau Giulia spielt Klavier, Sohn Rodolfo singt. Uns zu Ehren gibt er mit seinem schönen Bariton Schuberts »Winterreise« zum Besten, die Mama begleitet ihn am Piano. Am Wochenende führen uns unsere Gastgeber, Kunstliebhaber und leidenschaftliche toskanische Lokalpatrioten, auf den Spuren ihres Lieblingsmalers Piero della Francesca zu dessen schönsten Bildern, nach Arezzo, nach Monterchi, nach Sansepolcro.
    Die Ragioneris wohnen in einem gutbürgerlichen Viertel der toskanischen Hauptstadt. Ich frage Ernesto, der gut Deutsch spricht, wieso die Leute hier ihn, den Kommunisten, immer wiederwählen. Weil sie schon meinen Vater gewählt haben, ist die Antwort. Dieser war liberaler Republikaner. Dem Großvater gehörte die große Apotheke an der Ecke. Und ein Ahnherr war Obergärtner beim späteren Kaiser Leopold II., Spross der toskanischen Linie der Habsburger. Ich denke im Stillen, dass daher Ernestos auffällige Ähnlichkeit mit Kaiser Franz I. kommen könnte. Unser Gastgeber ist denn auch auf die toskanischen Habsburger nicht schlecht zu sprechen. Auf meine Frage, was denn von ihnen in der Stadt noch übriggeblieben sei, antwortet er: die Wasserleitung. Und als ich enttäuscht bin – keine großen Kunstwerke? –, meint er tröstend: Eine funktionierende Wasserleitung ist auch was wert.
    Die KPI wird zu jener Zeit von der großen Mehrheit der italienischen Arbeiter gewählt, aber auch von großen Teilen des aufgeklärt-laizistischen Bürgertums, als dessen Erbin sie sich versteht. Das merken wir auch in Rom, wo Franz unter anderen den späteren Staatspräsidenten Giorgio Napolitano trifft, den »Aristokraten« unter den italienischen Politikern. Und Rossanna Rossanda, die Königin der radikalen Linken, die sich mit ihrer kleinen, aber feinen Tageszeitung Il Manifesto von der KPI losgelöst hat und eine eigene, leidenschaftlich antistalinistische Gruppierung anführt.
    Sie lädt uns zum Essen in ihre Wohnung im römischen Nobelviertel Parioli ein, wo sie mit ihrem polnisch-französischen Lebensgefährten lebt. Eine vornehme italienische Dame, nicht mehr jung. Alles hier ist schön, einfach, edel und von erlesener Qualität. Ich kenne Spaghetti nur vom Supermarkt, aber was wir hier bekommen, sind hausgemachte hauchzarte Nudeln. Hausgemachte Nudeln?, frage ich beeindruckt. J’ai une petite femme …, sagt Rossanna. Die petite femme ist eine perfekte Haushälterin in weißer Schürze, die auch serviert. Radikale Linke, Luxusversion.
    Die Rossanda kommandiert einen jungen Manifesto -Redakteur ab, der Franz interviewen und uns die Redaktion zeigen soll, die natürlich im eleganten Dachgeschoss eines Palazzos liegt. Der Journalist ist aus Südtirol, heißt Franz Kössler und wird bald ein enger Freund. Ich finde, er würde gut in den Österreichischen Rundfunk passen, wo ich zu dieser Zeit arbeite. Aber Gerd Bacher, genannt der »Tiger«, damals Generalintendant, kann alles Linke nicht ausstehen. Ich bitte den ORF-Korrespondenten in Rom, Alfons Dalma, seinem Freund Bacher zu erklären, dass Il Manifesto zwar links, aber eine seriöse Zeitung ist. Dalma ist noch konservativer als Bacher, aber er hat, wie dieser, Respekt vor Qualität. Franz Kössler, »der andere Franz«, geht

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