Zuhause ist ueberall
auch kaum wägbar war – es war immerhin ein kleiner Sektor eines großen Kampfes, der den deutschen SD beschäftigte und also auf jeden Fall eine militärische Aufgabe erfüllte, nicht weniger als ähnliche Aufgaben, die sich jede Armee in ähnlicher Form gestellt hat. Nur riskanter. Viele unserer Mitarbeiter waren glücklich, wenn wir sie zu den Partisanen des F.T.P. ziehen ließen, weil der Kampf dort weniger ›unheimlich‹ war. Freilich, unsere harte Linie, die faktisch jeden Genossen, jede Genossin unter moralischen Druck stellte, sein Leben einzusetzen – das war unverantwortlich. Einen Kollegen haben wir wegen Feigheit ausgeschlossen. Er hat später ganz nette Karriere in der DDR gemacht.«
Franz schafft es, »mit strengster Konspiration und mit Riesenglück«, wie er sagt, mit seiner unmittelbaren Widerstandsgruppe bis 1944 auszuhalten, ohne gefasst zu werden. Aber dann fliegt die Gruppe durch Verrat auf. Die Gestapo schlägt zu, Franz kommt ins Gefängnis nach Fresnes bei Paris. Sein Schicksal scheint besiegelt. Das Todesurteil ist schon ausgesprochen. Aber im letzten Augenblick bricht der Aufstand in Paris aus, die Deutschen versuchen nicht mehr, ihn niederzuschlagen, und ziehen ab. Die Gefangenen lassen sie zurück. Später hat irgendjemand die Botschaften gesammelt, die die Häftlinge in der Todeszelle von Fresnes auf die Wände gekratzt haben, und in einem Gedenkbuch der französischen Résistance unter dem Titel »Les murs de Fresnes« publiziert. Nach Franz’ Tod schenkt mir Toni Lehr, eine seiner engsten Mitarbeiterinnen, dieses Buch. Ich finde darin seine vermeintlich letzten Worte. »Franz Feuerlicht, communiste autrichien, fusillé 18 août 1944.«
Nicht wenige der österreichischen Kommunisten, die ich kennenlerne, haben eine Widerstandsgeschichte. Die KPÖ jener Jahre ist eine buntgemischte Gesellschaft, sie umfasst hartgesottene Stalinisten und liberale Eurokommunisten, Arbeiter, die aus der Sozialdemokratie kommen und nach dem Februar 1934 enttäuscht zu den Kommunisten gegangen sind, und Intellektuelle mit bürgerlichem Hintergrund.
Franz nimmt mich mit zu seinem Freund Ernst Fischer und dessen Frau Lou. Die Fischers wohnen in einer alten, einigermaßen baufälligen Villa in der Rustenschacherallee im Prater. Es war nach 1945 die Politik der Partei, ihre Mitglieder möglichst konzentriert im zweiten Wiener Gemeindebezirk anzusiedeln, in der Hoffnung, dass sich in dieser Gegend bei den Parlamentswahlen ein Grundmandat ausginge. Ernst und Lou waren viele Jahre ihres Lebens Emigranten, Ernst in Moskau, Lou in Hollywood. Und auch ihre Wiener Wohnung verströmt noch ein bisschen Emigrantenatmosphäre. Viele Bücher und Zeitschriften, Lithographien von Fernand Léger mit Reißnägeln an die Wand gepinnt. Es ist gemütlich, aber ein wenig provisorisch.
Als ich Ernst Fischer zum ersten Mal begegne, ist mein erster Gedanke: Das soll ein Kommunist sein? Das gibt’s doch nicht. Der Offizierssohn aus Graz entspricht, anders als Franz, so gar nicht dem erwarteten Muster. Ernst ist ein Gentleman alter Schule, hochgewachsen und mager, das Tweedsakko sitzt locker auf seinen Schultern, von altmodischer Höflichkeit und einem sehr österreichischen Charme. Und Lou ist immer noch der Typ der Berliner Salondame aus den wilden Zwanzigerjahren, die sie einmal war. Sie stammt ursprünglich aus Ungarn, ist klein und beweglich und trägt meist lila. Der einst bekannte Schlager »Es trägt die Lou lila, selbst die Dessous lila« ist für sie geschrieben worden.
Ernst Fischer mit seiner zweiten Frau Lou Eisler-Fischer, 1962
Lou, frage ich, trägst du wirklich lila Dessous? Ja, wenn ich sie kriege, sagt Lou, aber beim Palmers haben sie keine. Lou, wie oft warst du eigentlich verheiratet? Viermal, antwortet Lou, aber den Ersten musst du dir nicht merken, der war nicht wichtig. Nummer vier ist Ernst Fischer, Nummer drei war Hanns Eisler und Nummer zwei war Franz Jolesch, der Neffe von Friedrich Torbergs im gleichnamigen Buch verewigter Tante Jolesch. Franz Jolesch war laut Torberg »des Kaisers schönster Leutnant«.
Lou ist wütend auf Torberg, den sie aus gemeinsamen Jugendjahren kennt. Sie nimmt ihm den österreichischen Brecht-Boykott übel. Sie kannte Brecht und dessen Frau Helene Weigel im kalifornischen Exil, sie und ihr damaliger Mann Hanns Eisler waren mit den beiden gut befreundet. Aber mindestens ebenso sehr ärgert es sie, dass Torberg in seiner »Tante Jolesch« deren Krautfleckerln lobte und die
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