Zuhause ist ueberall
bescheuert können nicht einmal die Russen sein, dass sie eine Kommunistische Partei, die endlich einmal wirklich populär ist und bei freien Wahlen mühelos gewinnen würde, zerschlagen. Wir fahren auf Urlaub nach Italien. Und wir sitzen am 21. August wiederum irgendwo beim Frühstück, als wir in der Zeitung die Schlagzeile sehen: Panzer in Prag! Wir trauen unseren Augen nicht. Also doch. Die Konservativen haben recht gehabt.
Im Eiltempo zurück nach Wien. Ich habe ein gültiges tschechoslowakisches Visum und versuche mit dem Auto ins Land zu kommen. Bei mir im Wagen sitzt meine Prager Freundin Věra Fischelová mit ihrem kleinen Sohn Dominik. Věra ist Psychoanalytikerin und hat ein paar Monate in einem Wiener psychiatrischen Krankenhaus gearbeitet, auch das eine Errungenschaft des Prager Frühlings. Die halbe letzte Nacht sind wir zusammengesessen und haben überlegt, ob Věra in ihre besetzte Heimat zurückkehren oder in Wien bleiben soll. Wieder in der alten Diktatur leben? Oder ins Exil gehen? Der achtjährige Dominik gibt schließlich den Ausschlag. Er will nach Hause, zu seinen Freunden. Wir fahren von einem Grenzübergang zum anderen. Überall weisen mich die Grenzbeamten zurück, Visum hin oder her. Endlich gebe ich es auf. Věra und Dominik dürfen einreisen, ein tschechisches Auto nimmt die beiden mit. Wir umarmen uns. Es dauert 21 Jahre, bis wir uns wiedersehen werden.
Für die Tschechen, aber auch für die Sympathisanten der tschechischen Demokratiebewegung in ganz Europa ist die kurze Zeit der Hoffnung zu Ende. Es beginnt die bleierne Zeit der sogenannten Normalisierung. Viele unserer tschechischen Freunde verlieren ihre Parteimitgliedschaft und ihre Arbeit, sind plötzlich Verräter und Volksfeinde. Eda Goldstücker geht ins englische Exil, zum zweiten Mal. Das erste Mal ist er vor den Nazis geflohen, jetzt vor seinen eigenen Genossen. Ota Šik wählt die Schweiz. Und Tonda Liehm geht nach Frankreich. Auf dem Weg macht er bei uns Station und schläft auf dem Sofa in unserem Wohnzimmer. Eine Epoche ist zu Ende.
Das Jahr 1968 sieht nicht nur das Ende des Prager Frühlings, auch die Studentenbewegung in Frankreich, der »Pariser Mai«, wird niedergeschlagen. Und auch die deutsche Studentenrevolte findet irgendwann ihr Ende, besonders, als sie nach dem gewaltsamen Tod des Studenten Benno Ohnesorg bei einer Demonstration in Berlin ebenfalls gewalttätig wird. Ich habe als Berichterstatterin der Arbeiter-Zeitung in Paris die Studentenversammlungen im Odeon besucht und die Demonstrationen gesehen, ebenso wie die besetzten Hörsäle und die Dauerdiskussionen in Berlin. Die Ziele sind ähnlich, aber die Atmosphäre ist verschieden. Die französische Bewegung ist leichtfüßiger und poetischer. »Die Phantasie an die Macht« und »Unter dem Asphalt ist der Strand« lauten die Losungen. Die deutsche ist ernsthafter und grimmiger: »Macht kaputt, was euch kaputt macht«, »Es gibt kein richtiges Leben im falschen«. Alle wollen ein neues, ein richtiges Leben. Und bei den Deutschen spielt auch die Abrechnung mit der alten, nazi-affinen Elterngeneration eine große Rolle.
Die deutschen revolutionären Studenten, unter ihnen Rudi Dutschke, kommen in diesem Jahr auch nach Prag, um dort ihre ebenfalls unruhigen tschechischen Kommilitonen zu treffen. Aber man redet aneinander vorbei. Die Deutschen können, bei aller Sympathie, nicht verstehen, warum die Tschechen nicht an ihrem sozialistischen System festhalten wollen, das bei all seinen Fehlern ihrer Meinung nach eben doch das bessere ist. Und die Tschechen halten die Verachtung der Deutschen für die »repressive Toleranz« im Kapitalismus für verrückt. Wenn wir eine solche repressive Toleranz nur hätten!, sagen sie. Eure Sorgen möchten wir haben! Zu einem Schulterschluss der Jungen kommt es nicht.
Ein Jahr später findet in Kuba ein internationaler Kulturkongress zum Gedenken an Ernesto Che Guevara statt, der, ebenfalls im ereignisreichen Jahr 1968, in Bolivien den Tod gefunden hat. Che, wie ihn alle nennen, wollte die kubanische Revolution dorthin und in weiterer Folge nach ganz Lateinamerika tragen. Auch das eine zerschlagene Hoffnung. Aber Che ist indessen der Held der Linken in der ganzen Welt. Sein Bild, mit dem Barett, der Zigarre und dem hinreißend sexy Lächeln, hängt in Studentenzimmern von San Francisco bis Wien. Und auch das Foto, auf dem er aufgebahrt daliegt, eine moderne Version des klassischen Jesus-Motivs von der Kreuzabnahme.
Ich darf
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