Zuhause ist ueberall
für die Arbeiter-Zeitung vom Kongress in Havanna berichten. Es ist eine Art letztes Klassentreffen von allem, was bei den Linken Rang und Namen hat. Hans Magnus Enzensberger ist da, heiter und elegant, er spricht fließend Spanisch und kennt alle. Giangiacomo Feltrinelli, der italienische Verleger und Millionär, in Designerjeans und Maßhemd, der später bei einem Bombenanschlag zu Tode kommt. Er lädt alle, inklusive das Fußvolk der Journalisten, jeden Abend großzügig zu zahlreichen Margheritas ein, den kubanischen Drinks aus Rum und Minze. Eric Hobsbawm, der englische Historiker, vielsprachig, umfassend gebildet, mit dem Aussehen eines ewigen Studenten. Und viele andere.
Wir hören Fidel Castro reden, nur zwei Stunden lang. Das ist für seine Verhältnisse gar nichts, sagen uns die Kubaner. Die meisten von uns verstehen fast nichts, aber dem Charme des Commandante, seinen Grimassen und Gesten können wir uns nicht ganz entziehen. Charisma hat er, das muss man ihm lassen. Eines Abends gibt es bei einem Empfang einen Wirbel. Der mexikanische Maler David Alfaro Siqueiros fliegt plötzlich quer durch den Saal. Was ist passiert? Eine junge französische Trotzkistin hat dem berühmten Mann einen kraftvollen Tritt in den Hintern verpasst, als Strafe für die Rolle, die der Kommunist Siqueiros bei der Ermordung von Leon Trotzki in Mexiko gespielt hat. Es sind eben alle Fraktionen der Linken hier in Havanna versammelt, und die sind, außer in ihrer Sympathie für das revolutionäre Kuba, alles andere als einig.
Wir entdecken Havanna, diese hinreißend fröhliche Stadt mit ihren schönen alten Bürgerhäusern und Palais und ihren allgegenwärtigen Musiklokalen. Alles ist ziemlich vergammelt und heruntergekommen, aber die Sonne scheint, und die Menschen lächeln uns an. Kuba ist arm, das ist nicht zu übersehen. Trotzdem überbieten sich die Gastgeber darin, uns zu verwöhnen. Wir Journalisten fahren im Land herum. In Havanna bekommen wir Autos zur Verfügung gestellt, mit denen dürfen wir zum Strand fahren. Ein junger englischer Kollege ist der Erste, der sich über diesen Luxus empört. Autofahren ist für normale Kubaner meistens unerschwinglich, und wenn sie Autos haben, dann sind es uralte nordamerikanische Klapperkisten. Wir sagen den Veranstaltern höflich, dass wir keine Autos wollen. Diese sind darüber gar nicht erfreut.
Kuba ist das Land der Revolution, es atmet immer noch karibische Fröhlichkeit, aber es ist ein Polizeistaat. Jemand nimmt mich mit zu dem Schriftsteller Miguel Barnet. Sein Buch »Biografía de un cimarrón«, die wahre Geschichte eines entlaufenen Sklaven, hat auch in Europa viel Aufmerksamkeit erfahren. Barnet war von Anfang an ein leidenschaftlicher Anhänger der Revolution, aber nun hat er genug. Die Freiheit, die er gemeint und die er sich so sehnlich gewünscht hat, hat sie nicht gebracht, sagt er uns. Er ist bitter und traurig. Wenig später verlässt er die Insel und geht ins Exil. Und auch ich fahre nachdenklich nach Hause. Revolutionäre Paradiese ohne Schlange scheint es nicht zu geben.
In Maos Reich
Ein Inserat im Kurier , im Jahr 1971: Das Österreichische Verkehrsbüro bietet eine Gesellschaftsreise nach China an. Nach China? Ich muss zweimal hinschauen, bevor ich es glaube. In China tobt seit vier Jahren die Kulturrevolution. Das Land ist für alle Reisenden aus dem Westen hermetisch geschlossen. Wie wir heute wissen, war diese Epoche eine Zeit der schlimmsten Repression, sie forderte zahllose Tote und verursachte unsagbares menschliches Leid. Davon ahnte man damals kaum etwas. Die angesehensten Journalisten der angesehensten Medien der Welt bemühen sich seit Jahr und Tag vergeblich um Einreisebewilligungen, um einen Blick in Mao Tse Tungs revolutionsgeschütteltes Reich zu werfen. Keine Chance. Und hier wird, zwischen Reisen nach Mallorca und Caorle, nun eine Fahrt quer durch China ausgelobt? Ausgerechnet vom Österreichischen Verkehrsbüro, das normalerweise preiswerte Urlaube für Familien und Pensionisten im Angebot hat? Die Reise ist nicht einmal teuer. Ich melde mich an.
Zwei Tage später habe ich ein Ticket und ein Visum und dazu gratis auch gleich das Kleine Rote Buch mit den wichtigsten Merksätzen aus der Lehre des Großen Vorsitzenden Mao Tse Tung. Ich nehme auch noch die Gesammelten Werke des Autors mit. Es gibt sie bei der Chinesischen Botschaft in Wien auf Deutsch zu kaufen, drei Bände broschiert. Sie kosten ein paar Schilling.
Ich beginne ein
Weitere Kostenlose Bücher