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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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Reisetagebuch, das ich heute mit Staunen wieder lese:
    »Kanton. Dass in China alles anders ist, merken wir schon auf dem Flughafen. Ein Empfangskomitee ist ausgerückt. Wir nehmen auf weißbezogenen Fauteuils im VIP-Raum Platz und bekommen erst einmal einen Vortrag über die Errungenschaften der Revolution serviert. Und wir hören, was wir im Laufe der Reise noch öfters hören werden: Wir seien geschätzte Freunde Chinas, wir sollten Kritik üben an dem, was wir zu sehen kriegen würden, man wolle von uns, den Ausländern, lernen. Und wir, eine ganz gewöhnliche Reisegruppe, zusammengesetzt aus österreichischen Durchschnittsbürgern, scheinen tatsächlich so etwas wie die Avantgarde der ›geschätzten Freunde Chinas‹ zu sein. Versuchskaninchen bei der Öffnung zum Westen.
    Etwas seltsam kommen wir uns in dieser Rolle vor. Im Hotel sind wir die einzigen Gäste. Auf jeden von uns kommt eine ganze Brigade von Personal, das sich lächelnd verbeugt, wenn wir vorbeigehen. Niemand nimmt Trinkgeld. Als ich ein Paar zerrissene Socken wegwerfe, bekomme ich sie am nächsten Tag, sauber verpackt, wieder zurück. Und auf den Straßen werden wir angestarrt und bestaunt wie Besucher von einem anderen Stern. Kinder zupfen an unseren Jacken. Sie wollen nicht betteln, sie wollen nur wissen, was das für Jacken sind, die so anders aussehen als ihre eigenen.
    Es ist kein Zufall, dass die erste Station unserer Reise ein Dorf ist, eine Volkskommune im Süden des Landes. Das Dorf, hören wir, ist die Zukunft, dort schlägt das Herz der Kulturrevolution. Unser Dorf liegt in fruchtbarer Gegend, umgeben von grünen Reisfeldern. Die Landwirtschaft in China wurde schon in den Fünfzigerjahren kollektiviert. Die Kulturrevolution sollte auf dem Lande vor allem das ›kollektive Bewusstsein heben‹ und die leitenden Gremien ›demokratisieren‹. Die Leitung hat immer ein Militär.
    In der Volkskommune Tsinhua, in der mehrere Dörfer zusammengefasst sind, ist Tseng Tsun Yen der Leiter. Er ist nicht nur der Vorsitzende des Revolutionskomitees, sondern auch Kommandeur einer Division Volksmiliz und Chef der Schul-, Spitals- und Justizverwaltung. Ein jovialer Typ mit Bürstenfrisur. Er lädt uns ins Versammlungshaus zu einem ländlichen Mittagessen ein und legt uns nach chinesischer Gastgebersitte eigenhändig die besten Bissen in unsere Reisschüsselchen. Nachher reichen Kommunemädchen allen ein heißes Frotteehandtuch. Das Essen ist wunderbar, frische Fische aus eigenen Teichen und frisches Gemüse aus eigenem Garten.
    In diesem Saal findet, wenn nicht gerade gegessen wird, das tägliche Mao-Tse-Tung-Studium statt. Eine Einrichtung, die, wie die Bibellektüre bei frommen Protestanten, seit der Kulturrevolution zum täglichen Pflichtritual der Chinesen gehört. In Tsinhua wie in allen Volkskommunen im ganzen Reich ist der aktuelle Text derzeit vor allem die Mao-Weisung ›Lernt von Dadsai‹. Dadsai ist eine Volkskommune im Norden, die sich schon früh in ihrer Produktion vom Staat unabhängig gemacht hat. Auch in Tsinhua ist man nicht nur in der Lebensmittelversorgung autark, sondern versucht, viele Industrieprodukte selbst herzustellen. Die Werkstätten wie die Maschinen sehen primitiv aus – aber sie erfüllen anscheinend ihren Zweck.
    Am meisten staunen wir über die Dreschmaschinen. Eine solche Maschine ist eine Art Holzkiste mit einer Stachelrolle im Inneren, die mit einem Fußpedal à la Nähmaschine bedient wird. 1500 Stück sind derzeit in der Volkskommune in Betrieb. Auch sie sind eine eigene Erfindung und somit ›ein Werk der Massen‹, wie die Chinesen sagen.
    Der Sinn der Aus-eigener-Kraft-Politik liegt auf der Hand. Wenn jede Region sich mit den wichtigsten Gütern selbst versorgen kann, sind die Versorgungsschwierigkeiten im Fall eines Krieges minimalisiert. Kein Zufall, dass diese Losung ausgegeben wurde, als der Bruch mit der Sowjetunion kam und die sowjetischen Maschinenlieferungen eingestellt wurden. Selbst wenn weite Gebiete (etwa die Küste mit den großen Städten) in die Hand des Feindes fielen, könnten die Provinzen im riesigen Landesinneren dennoch weiter funktionieren und als Basen dienen, bis die Kräfte neu gesammelt sind.
    Die Autarkie der Volkskommunen entlastet außerdem den Transport und vereinfacht die Verteilung. Besser hölzerne Dreschkisten, die auch wirklich da sind, als hochkomplizierte Mähdrescher, auf die man lange warten muss. Und wenn etwas kaputt geht, kann es problemlos am Ort repariert

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