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Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit

Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit

Titel: Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wie man zu einem Freund spricht.
    Der Psychiater fühlte sich so miserabel, wie er sich die ganze vergangene Nacht gefühlt hatte. Riffart hält mich für seinen Freund. Er vertraut mir seine Frau an. Er hält nichts vor mir geheim.
    Normann haßte sich und die Welt. Er war, weiß Gott, selbst reif für einen Psychiater.
    Darf man mit Liebe alles entschuldigen?
    Der Anwalt und der Psychiater gingen zusammen durch die langen Flure des Gerichtsgebäudes. Mitten in Normanns Gedanken hinein sagte Riffart: »Laura hat heute nacht Fieber bekommen, einen richtigen Fieberanfall. Wirres Zeug hat sie geredet. Ich habe unseren Hausarzt gerufen. Er gab ihr eine Spritze, dann schlief sie.«
    Normann sah Riffart an, las die Besorgnis in seinen Augen. »Und heute früh?«
    »Da war sie völlig fieberfrei. Keine Kopfschmerzen, keine Erkältung. Kann so was … Ich meine, kann das so eine Art Nervenfieber gewesen sein?«
    Normann nickte. »Vielleicht.«
    Viktor Riffart blieb plötzlich stehen. »Sie ist sehr sensibel; ich weiß nicht, ich habe direkt Angst um sie.« Sein Blick war eine vertrauensvolle Bitte. »Sie passen auf Laura auf, nicht wahr?«
    »Ja.«
    Es war absolut vernehmbar, dieses Ja. Aber Normann sah Riffart dabei nicht an, sondern einen alten, vollbärtigen Gerichtspräsidenten, der als Ölbild an der Wand hing.
    Von diesem Juni würde man noch lange reden, so heiß war er. An dem Tag, an dem Laura zum erstenmal in seine Sprechstunde kommen sollte, war Normanns Klimaanlage kaputt. Und die Firma konnte erst übermorgen jemand schicken.
    Da Normann seine Praxis im sechsten Stock hatte, direkt unter dem Dach, war es heute in seinen Räumen geradezu unerträglich heiß.
    Alles klebte an ihm. Aber die fremde Frau, die ihm jetzt gegenübersaß – auch sie heute zum erstenmal –, sah eher aus, als fröre sie. Sie öffnete und schloß die Hände, und ihre Hände waren ebenso blaß und trocken wie ihr Gesicht.
    »Ich glaube nicht«, hatte sie gleich gesagt, »daß ich mir eine Behandlung bei Ihnen leisten kann.«
    Er hatte sie beruhigt. Neuerdings zahlten sogar, von den Erfolgen allmählich überzeugt, die Krankenkassen für psychotherapeutische Sitzungen.
    Auf dem Krankenblatt, das vor Normann lag, stand nicht sehr viel: »Stephi Helmer, 29 Jahre alt, verheiratet, ein Kind.« SuV, in die linke Ecke gekritzelt, bedeutete Suizidversuch. Zu deutsch: Selbstmordversuch.
    »Frau Helmer, können Sie sich vielleicht an Ihren sechsten Geburtstag erinnern?«
    Sie blickte ihn überrascht an. »Sehr genau sogar. Warum?«
    »Weil ich gern wissen möchte, wie Sie als kleines Mädchen waren. Was für Geschenke haben Sie beispielsweise an Ihrem sechsten Geburtstag bekommen?«
    »Meinen ersten Revolver.« Sie lächelte ein bißchen. »Er hatte schon eine richtige Trommel. Man konnte zwölf Schuß hintereinander abfeuern. Schreckschüsse natürlich nur.«
    »Und keine Puppen?«
    »Nein. Ich habe nie mit Puppen gespielt. Ich war ein wildes Mädchen. Sie werden es vielleicht nicht glauben.«
    Doch, er glaubte es. Irgend etwas Wildes, Knabenhaftes war heute noch an ihr, so blaß und schmal sie auch aussah. Genau betrachtet wirkte sie recht apart. Große dunkle Augen, hohe Backenknochen, die schwarzen Haare kurzgeschnitten, die aufgeworfenen Lippen ungeschminkt.
    »Wenn so ein kleines Mädchen zu seinem sechsten Geburtstag einen Revolver bekommt«, meinte Dr. Normann, »dann werden die Spielkameraden wohl Jungen gewesen sein.«
    »Ja, ja«, antwortete Stephi Helmer lebhaft. Und setzte lachend hinzu: »Wir hatten eine Bande, ich war sogar der Anführer. ›Blut gebe ich, und Blut nehme ich …‹ Ach, ich kann heute noch solche Sprüche.«
    »Und wie fanden das Ihre Eltern?«
    »Meinem Vater gefiel es. Wissen Sie, er wollte sowieso einen Jungen und bekam statt dessen zwei Mädchen. Ich war die zweite, und mein Vater war so enttäuscht, daß er meine Mutter nicht mal in der Klinik besucht hat. Stephan sollte ich heißen, daraus wurde dann Stephanie.«
    »Daß Sie ein Junge sein sollten, haben Sie aber erst viel später erfahren – oder?«
    »Nein, das wußte ich immer. ›Stephi, dich hat der Storch verwechselt‹, das wurde oft zu mir gesagt.«
    Normann dachte einen Augenblick nach. Von den Problemen dieser jungen Frau wußte er noch so gut wie gar nichts. Nichts über ihre weitere Jugend, nichts über ihre Männerbekanntschaften, nichts über ihre Ehe, nichts über ihren Selbstmordversuch.
    Aber das wenige, was sie da harmlos von sich gab, war

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