Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit
Sie hätte hinausrennen sollen statt zu antworten. Vor Wut über sich selbst weinte sie. »Ich liebe ihn. Am Tag, verstehst du? Aber in der Nacht gefriere ich zum Eisblock. Und es wird immer schlimmer statt besser. Als er es begriff«, sie vergrub ihren Kopf an seiner Brust, es fiel ihr schwer weiterzusprechen, »da hat er gesagt: ›Jetzt kenne ich mich aus, du bist keine richtige Frau!‹«
Richard ließ sie los, trat einen Schritt zurück. »Und da kam ich, der Mann, mit dem du es ausprobieren wolltest.«
Jetzt wäre die beste Gelegenheit gewesen, ihm zu sagen: »Verstehst du endlich, daß es nichts als ein ganz gewöhnlicher Seitensprung war, etwas, das mit Liebe nichts zu tun hat?«
Sie verpaßte diese Gelegenheit. Außerdem stimmte es ja auch gar nicht. Hundertmal hatte sie ihren Mann schon wieder betrogen – in Gedanken, in Träumen, in der Phantasie. Sie wurde die Erinnerung an eine glückliche Nacht nicht mehr los. Und sie sagte es ihm. »Ich will ehrlich sein, Richard. Bei dir war alles anders – so, wie es sein sollte zwischen Mann und Frau. Aber wir dürfen uns trotzdem nicht lieben. Ich bitte dich darum.«
Richard Normann starrte sie an. Er spürte den Schweiß auf seinem Körper. Er hätte sie an sich reißen mögen. Er wollte ihre Lippen spüren, ihre Haut, alles, was zu Laura gehörte.
Er tat es trotzdem nicht. Wie hatte doch Viktor Riffart zu ihm gesagt? »Ich habe Angst um Laura, sie hat hohes Fieber bekommen und wirres Zeug geredet …«
Sollte er, Normann, weniger Angst um Laura haben?
Er stand vor ihr und sah sie mit einem schmerzlichen Blick an. Es war wie ein Abschiednehmen. Die Frau, die er mit allen Fasern seines Herzens liebte seit jener Nacht, in der sie verzweifelt aus ihrer Ehe ausgebrochen war – auf diese Frau mußte er verzichten. Jetzt war sie seine Patientin. Als Psychiater mußte er versuchen, ihre Ehe mit Rechtsanwalt Viktor Riffart zu retten.
»Laura«, sagte er mit belegter Stimme, sich zur Sachlichkeit zwingend, »bei dir liegt eine partnergebundene Frigidität vor. Das kann auch bei geliebten Männern vorkommen. Ich schlage dir eine psychotherapeutische Gruppenbehandlung vor.«
»Eine Gruppe?« fragte sie mißtrauisch.
»Wir arbeiten sehr viel und sehr erfolgreich in Gruppen, kleinen Gruppen natürlich. Frauen mit den gleichen oder ähnlichen Problemen treffen aufeinander.«
»Aber ich bitte dich, Richard, da macht doch keine den Mund auf!«
Er schüttelte den Kopf. »Da täuschst du dich. Es entsteht sogar sehr schnell ein Kontakt. Man beschäftigt sich nicht nur mit sich selbst, sondern auch mit den andern. Man nimmt Anteil an einem fremden Schicksal und zieht daraus Schlüsse für das eigene. Ich könnte dir noch viele Vorteile einer Gruppentherapie aufzählen.«
»Und du bist immer dabei?« fragte Laura.
»Ja, als Steuermann sozusagen.«
»Wie oft würde das sein?«
»Zweimal in der Woche. Sieh es dir mal an, du kannst die Gruppe jederzeit wieder verlassen.«
Laura schwieg eine Weile. Dann sah sie ihn plötzlich an. »Richard, wir sehen uns dann zweimal in der Woche, regelmäßig – ob das nicht zu gefährlich ist für uns?«
»Es ist auch gefährlich, wenn wir uns nicht sehen«, antwortete er. »In der Gruppe sind wir geschützt, wir sind nicht allein; und du wirst in mir bald nur noch den Arzt sehen und ich in dir die Patientin.«
War das nicht eine fromme Lüge? Wünschte er sich nicht das Gegenteil? Spekulierte er nicht mit der Zeit? Mit der Vertraulichkeit, die mehr und mehr zwischen ihnen entstehen mußte – auch in der Gruppe?
Er war sich über seine Gefühle nicht im klaren. Siegte bei ihm jetzt der Arzt, dessen Aufgabe es war, Laura zu einem richtigen Eheglück zu verhelfen – oder der Mann, der sie liebte, sie begehrte, für sich gewinnen wollte, ohne Rücksicht darauf, daß sie schon einem andern gehörte?
Die Zeit war um; eine neue Patientin wartete draußen.
»Auf Wiedersehen«, sagte Laura leise.
Er starrte auf die Tür, durch die sie verschwunden war.
›Liebeskarussell‹ hieß das Nachtlokal, das Helga Anderssen durch einen Hintereingang betrat. Es war Samstag, wieder einmal Samstag.
Wie oft hatte sie sich schon geschworen: »Ich gehe nicht mehr hin, Schluß mit der Vorstellung! Wenn es herauskommt, fliege ich aus meiner Stellung. Und alle werden mich lächerlich finden, mit Fingern auf mich zeigen. Und überhaupt niemand wird es glauben wollen.«
Aber jetzt, in der kleinen Garderobe, vor den Spiegeln, da war es ihr
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